Politik: „In den trüben Fluten der Ostalgie“
Ehemalige DDR-Bürgerrechtler sind verärgert über die einseitige Vergangenheitsaufarbeitung des Willy-Brandt-Kreises
Berlin - Um die Zukunft der Stasiakten und die Rolle der dafür zuständigen Behörde ist ein Streit zwischen ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern und dem SPD-nahen Willy-Brandt-Kreis entbrannt. In einem von 32 vorwiegend früheren DDR-Dissidenten unterzeichneten Papier wird den Mitgliedern des Brandt- Kreises unter der Überschrift „Intellektuelle in den trüben Fluten der Ostalgie“ vorgeworfen, dass ihnen „offensichtlich die ganze Richtung der Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht passt“. Indem sie eine Überführung der Stasiakten in das Bundesarchiv befürworteten und zugleich beklagten, dass „alle geheimdienstlichen Erkenntnisse über die Bundesrepublik geheim sind“, setzten sie sich dem Verdacht aus, sie wollten für die Stasiakten das gleiche Schicksal. Denn ein Sonderzugang auf die Akten – den der Brandt-Kreis allerdings ausdrücklich befürwortet – sei dann wegen des bundesdeutschen Archivgesetzes infrage gestellt.
Die Autoren erinnern daran, dass es nicht die Regierungen Kohl oder de Maizière gewesen seien, die die Öffnung der Akten gefordert oder gar erkämpft hätten. Vielmehr seien es „ die Leute von der Straße gewesen, die endlich die Wahrheit über das Repressionssystem der DDR einforderten und wenigstens die Stasi-Unterlagenbehörde zugestanden bekamen, die jetzt mit einem bloßen Verwaltungsakt kassiert werden soll“.
Vor allem erzürnt die Unterzeichner, dass die Mitglieder des Mitte der 90er Jahre gegründeten Willy-Brandt-Kreises eine „auf ostdeutsche Repressionsgeschichte eingeengte selektive Geschichtsschreibung“ der DDR beklagen und dafür die Stasi-Unterlagenbehörde verantwortlich machen. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderen Bärbel Bohley, Ralf Hirsch, Carlo Jordan, Irena Kukutz, Reinhard Schult und Wolfgang Templin, aber auch Westdeutsche wie der Grünen-Mitbegründer Wilhelm Knabe und die Journalistin Margit Miosga.
Der Willy-Brandt- Kreis hatte in Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) im März eine Erklärung zum künftigen Umgang mit den Stasiakten vorgestellt. Darin wird die Stasi-Unterlagenbehörde scharf kritisiert. Mit ihrer bisherigen Arbeit habe sie „bewiesen“, dass sie für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte „ungeeignet“ sei. Die Behörde habe von Anfang an „eine politische Zweckbestimmung“ gehabt, die darin bestanden habe, „die DDR zu delegitimieren“. Weiter heißt es: „Emanzipatorische Elemente, wie die Brechung des Bildungsprivilegs in der DDR oder das Selbstbewusstsein von Produktionsarbeitern, wurden genauso ausgeblendet wie Aspekte der bundesdeutschen Repressionsgeschichte. Mit ihrer Reproduktion von staatlich beaufsichtigter Geschichtswissenschaft hat die Behörde von Anfang an auch zu Fehlurteilen und Legendenbildung beigetragen.“
Unterzeichnet war die Erklärung unter anderen von dem SPD-Ostexperten Egon Bahr, dem Journalisten Peter Bender, dem Schriftsteller Günter Grass, dem einstigen Staatssekretär in Lafontaines Bundesfinanzministerium Claus Noé, aber auch von Ostdeutschen wie den Schriftstellern Friedrich Dieckmann und Daniela Dahn, dem Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wittenberg Friedrich Schorlemmer und dem früheren Mitarbeiter im ZK der SED und heutigen SPD-Mitglied Manfred Uschner.