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Politik: In der Ablage verschwunden

Bis 2005 muss das Pflegeurteil umgesetzt sein. Bisher hat es die Politik ignoriert. Nun droht der nächste Richterspruch

Der Familienverband wird langsam ungeduldig. Knapp 500 Tage seien es noch, „und kein Vorschlag in Sicht“. Die Lobbyisten erinnern an das Verfassungsgerichtsurteil vom April 2001, das die Politiker zum Handeln gedrängt hat. Bis Ende 2004 sollen sie die Beiträge zur Pflegeversicherung familienfreundlicher gestalten und die gesamte Sozialversicherung nach diesem Kriterium überprüfen. Er wundere sich, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier dem Tagesspiegel, dass er weder in einer Regierungserklärung noch im Prüfauftrag für die Rürup-Kommission etwas davon wiederfinde. Bleibe die Kindererziehung unberücksichtigt, dürften ab 2005 keine Pflegebeiträge mehr erhoben werden.

Es sei ihm „unbegreiflich“, dass die Karlsruher Vorgaben in der aktuellen Debatte zur Umgestaltung der Pflegeversicherung „überhaupt nicht vorkommen“, sagt auch Hellmut Steuck vom Familienverband. Mehr noch: Die Rürup-Kommission habe sich „explizit gegen eine Differenzierung der Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge nach der Kinderzahl“ gewandt. Damit habe sie sich offen gegen das Verfassungsgericht gestellt.

Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert sieht das genauso. Mit ihren Ideen zu Leistungskürzungen, längerer Lebensarbeitszeit und Renten-Nachhaltigkeitsfaktor für Eltern wie Nichteltern liefen Ratgeber und Regierung ins „offene Messer des Bundesverfassungsgerichts“, warnt der Ex-Berater von Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Nötig sei, die „Freiheit der Lebensentwürfe mit der Eigenverantwortung für deren Folgen zu koppeln“. Will heißen: mehr Entlastung für Eltern, höhere Belastung für Kinderlose.

Die Koalition reagiert auffällig sprachlos auf die Mahnung Papiers. Allerdings sieht ein Leitantragsentwurf für den SPD-Parteitag vor, Kinderlose zu höheren Pflegebeiträgen zu verpflichten. Und die Gesundheitsministerin soll bald einen Entwurf vorlegen, der die Karlsruher Auflagen berücksichtigt. Mit der Union indes scheint familienpolitisch wenig zu machen. Er sehe „keine Annäherungsmöglichkeit, weil die Grünen eine andere Vorstellung von Familie haben“, sagte CSU-Generalsekretär Thomas Goppel dem Tagesspiegel. Familie sei „keine beliebig zusammengewürfelte Runde, bei der Kinder anwesend sind“.

Dabei blüht den Politikern schon neues Ungemach. Am 23. September verhandelt das Bundessozialgericht über die Klagen von drei Familienvätern. Siegfried Schmidtke (drei Kinder), Thomas Otten (vier Kinder) und Siegfried Stresing (fünf Kinder) wollen keine Rentenbeiträge mehr bezahlen, weil sie schon genug „zum Erhalt des Beitragszahlerbestands“ beitrügen. Mit genau dieser Begründung hat das Verfassungsgericht die Politik zur Prüfung der Sozialversicherungen verdonnert.

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