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In Görlitz sind sogenannte Reichsbürger im Besitz von Waffen - obwohl die Behörden davon wissen (Symbolbild).

© dpa/Nicolas Armer

Update

"Nicht als rechtsextrem zu erkennen gegeben": In Görlitz dürfen Reichsbürger ihre Waffen behalten

Sachsen beteuert, die Reichsbürger-Gefahr erkannt zu haben. Doch im Landkreis Görlitz gibt es eine krude Behördenpraxis im Umgang mit ihnen.

Von Matthias Meisner

Die Analyse des sächsischen Verfassungsschutzes ist eindeutig: "Im Falle eines persönlichen Kontakts mit Behördenmitarbeitern schrecken Reichsbürger und "Selbstverwalter" häufig nicht vor Beleidigungen, Bedrohungen und körperlichen Übergriffen zurück", heißt es im aktuellen Lagebild des Geheimdienstes zum Thema. Und: "Insbesondere Waffenbesitzer können in diesem Zusammenhang eine besondere Gefahr darstellen."

Doch ausgerechnet im sächsischen Landkreis Görlitz, einer Hochburg der AfD, ist bisher noch keinem einzigen Reichsbürger oder Rechtsextremen die Waffenerlaubnis entzogen worden, wie die "Sächsische Zeitung" recherchierte - obwohl es nach Darstellung des Landratsamtes jeweils vier davon gibt. "Diese acht Bürger haben den kleinen Waffenschein beziehungsweise Waffenbesitzkarten", teilte das Landratsamt der Zeitung mit. Zur Begründung, warum kein Waffenschein entzogen worden ist, erklärte die Behörde: "Gegenüber der Waffenbehörde des Landkreises Görlitz hat sich bisher keine Person als sogenannter Reichsbürger oder Rechtsextremer zu erkennen gegeben."

Der Verfassungsschutz in Sachsen beschäftigt sich - so wie in anderen Bundesländern auch - seit einigen Jahren ausführlich mit dem Reichsbürger-Phänomen. Der typische Reichsbürger ist demnach männlich und etwa 50 Jahre alt. Seit Dezember 2016 sind die Reichsbürger ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes in Sachsen. Die Zahl der registrierten Reichsbürger und "Selbstverwalter" beläuft sich im Freistaat auf rund 1.600 Personen, darunter 114 Rechtsextremisten, Stand September 2018.

In Bautzen reagierten die Behörden entschiedener

Der Verfassungsschutz informiert die Waffenerlaubnisbehörden fortlaufend über Extremisten, die mutmaßlich oder erwiesenermaßen legal Waffen tragen. Und anders als in Görlitz reagieren die auch, beispielsweise im Nachbar-Landkreis Bautzen. Dort habe man '"das Thema schon lange auf dem Schirm", wird der Leiter des Ordnungsamtes des Kreises Bautzen, René Burk, von der "Sächsischen Zeitung" zitiert. 2017 besaßen demnach im Landkreis Bautzen elf Rechtsextreme Waffenerlaubnisse. Zehn davon habe das Landratsamt inzwischen einkassiert.

Die sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz reagierte auf den Bericht über die Behördenpraxis in Görlitz mit bitterer Ironie: "Ja, glaubt der Landkreis denn allen Ernstes, dass Reichbürger, die diesen Staat nicht anerkennen, zu genau diesem Staat rennen und darum bitten, ihre Waffen abgeben zu können, die sie besitzen, um sich gegen unliebsame Vertreter dieses Staates zu wehren?", fragt sie. Und fügt im Gespräch mit dem Tagesspiegel hinzu: "Ja, glaubt denn der Landkreis wirklich, dass in Zeiten wachsender Terrorgefahr durch Neonazis diese Neonazis die für den Terror benötigten Waffen freiwillig abgeben?"

Bundesweit 19.500 Reichsbürger und "Selbstverwalter"

Die Bundesregierung rechnet dem bizarren Spektrum der Reichsbürger und "Selbstverwalter" inzwischen 19.500 Personen zu. Die Szene wächst laufend, wie aus einer im Februar veröffentlichten Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic hervorgeht. 950 von ihnen gelten als rechtsextrem.

Anfang 2018 hatte der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, von 16.500 Reichsbürgern und "Selbstverwaltern" gesprochen. Selbstverwalter sind Leute, die ihre Immobilie als eigenen Staat ausgeben, oft aufgrund von Streitereien mit Behörden um Bußgelder oder Steuerschulden. Reichsbürger und Selbstverwalter gehören in der Regel zur selben Szene. Dass es noch so viele Reichsbürger mit Waffenerlaubnis gibt - bundesweit waren im Herbst vergangenen Jahres nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" und des NDR mehr als 600 im Besitz von Waffen -, liegt auch daran, dass der juristische Umgang mit dieser Szene oft schwierig ist.

„Bautzen hat es gemacht, da nicht", sagte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dem Tagesspiegel. Und weiter: "Jetzt würde ich gerne nicht gleich öffentlich den Stab darüber brechen, sondern möchte erstmal mit dem Landrat reden. Wir nehmen die Leute vor Ort ernst. Ich möchte auch sagen: Ob jemand ein Reichsbürger ist: ja oder nein, muss jemand beurteilen. Ich gehe der Sache nach, mich hat sie genauso aufgeweckt. Reichsbürger, Identitäre, Dritter Weg, das ist alles ein Riesen-Problem, da müssen wir mit aller Macht gegen vorgehen, Aufklärung machen."

Ein wesentliches Kriterium hierfür ist die Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Verfassung und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dieses Kriterium erfüllen Reichsbürger schon von ihrem Selbstverständnis her nicht.

schreibt NutzerIn derverwalter

In Sachsen wird seit Jahren über Entwaffnung diskutiert

2017 hatte Sachsens damaliger Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zugegeben, in seinem Bundesland sei lange "viel zu lasch" mit Reichsbürgern umgegangen worden. Er machte eine "zum Teil unheimliche Melange aus Wutbürgern, Rechtsextremen, Reichsbürgern und der AfD" für die Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den CDU-Kundgebungen im Bundestagswahlkampf verantwortlich - und forderte ein entschiedeneres Vorgehen. Sachsens damaliger Innenminister Markus Ulbig (CDU) sagte 2017: "Wir müssen dafür sorgen, dass solche Typen nicht in den Besitz von Waffen kommen oder bleiben."

Der sächsische Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann sagt dem Tagesspiegel: "Der nächste Beweis, dass die Ankündigung entschieden gegen Nazis vorzugehen, in der Praxis scheitert. Rechtsextremisten und Reichsbürgern gehören die Waffen entzogen, da darf es keine halben Sachen geben." Innenminister Roland Wöller (CDU) müsse dafür sorgen, dass die Waffenbehörden ihren Aufgaben nachkommen.

Die Linken-Politikerin Köditz sagt: "Wir als Linke fordern seit Jahren immer wieder die Entwaffnung der extremen Rechten. Alle sächsischen Innenminister erklären seit Jahren, dass sie das Problem jetzt entschlossen anpacken werden. Und dann haben sie doch nur wieder die Lippen gespitzt und nicht gepfiffen. Eine einheitliche Regelung durch die Staatsregierung ist überfällig, damit solch ein haarsträubender Unsinn wie in Görlitz künftig vermieden wird." (mit Georg Ismar)

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