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Rund 900 Millionen Bürger sind zur Wahl aufgerufen.

© Noah Seelam/AFP

Narendra Modi gegen Rahul Gandhi: In Indien läuft die größte Wahl der Welt

Ein Land zwischen Boom und Hass: Indiens Wirtschaft wächst rasant, aber die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Premier Modi setzt auf den Patriotismus.

„Gute Tage stehen bevor“ - mit seinem Versprechen einer glänzenden Zukunft sicherte Narendra Modi seiner Partei einen deutlichen Sieg bei der indischen Parlamentswahl im Jahr 2014 und wurde Premierminister. Für die große Mehrheit der 1,3 Milliarden Inder ist unter Modi aber keine Ära des Wohlstands angebrochen. Manche sehen sich zudem durch seinen religiösen Nationalismus gefährdet. Bei der nun begonnenen, knapp sechswöchigen Wahl stehen seine Chancen auf eine zweite fünfjährige Amtszeit nach Umfragen trotzdem gut - nicht zuletzt wegen eines zeitweise drohenden Kriegs. Ausgezählt wird am 23. Mai.

Nach Niederlagen bei drei wichtigen Regionalwahlen im Dezember schien Modis hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (Partei des indischen Volkes, BJP) auf einmal schlagbar. Dann tötete am 14. Februar ein Selbstmordattentäter im indischen Teil Kaschmirs 40 Angehörige der indischen Sicherheitskräfte. Eine pakistanische Terrorgruppe reklamierte den Anschlag für sich. Es folgte der erste Luftangriff Indiens auf pakistanischem Gebiet seit 1971. Die Spannungen zwischen den verfeindeten, nuklear bewaffneten Nachbarländern Indien und Pakistan hatten sich schon lange nicht mehr derart verschärft.

Seitdem nutzt Modi den patriotischen Eifer, den die Episode bei vielen Indern freisetzte, für sich. Der 68-Jährige, sein Kabinett sowie zahlreiche Anhänger fügten ihren Profilen in sozialen Medien den Spitznamen „Chowkidar“ hinzu – so werden in Indien die privaten Wächter vor Häusern und Geschäften genannt.

Die Botschaft an die rund 900 Millionen Wahlberechtigten: Wir beschützen euch. Zugleich wird die Opposition als „anti-national“ dargestellt. „Warum hat Modi-Hass die Oppositionsführer dazu gebracht, diejenigen zu unterstützen, die Indien zerstören wollen?“, twitterte der Premier am vergangenen Sonntag – er hat auf Twitter rund 47 Millionen Follower.

Die BJP gilt als politischer Arm der Hindutva-Bewegung, deren Anhänger meinen, Indien gehöre den Hindus. In Modis Amtszeit ist es immer wieder zu Lynchmorden an Menschen gekommen, denen vorgeworfen wurde, Kühe zu einem Schlachthof gebracht, getötet oder gegessen zu haben. Die Kuh gilt Hindus als heilig.

Viele Lynchmorde in Modis Amtszeit

Die Organisation Human Rights Watch zählte zwischen Mai 2015 und Dezember 2018 bei solchen Angriffen 44 Todesopfer – darunter 36 Muslime. Angehörige der BJP hätten öffentlich zu dieser Gewalt angestachelt, hieß es. Das war Modi bereits 2002 vorgeworfen worden, nach Massakern an Muslimen im Bundesstaat Gujarat, wo er damals regierte. „Das Land erlebt eine existenzielle Krise“, warnt die Journalistin Anjali Mody in der Online-Zeitung Scroll.in. „Ein pluralistisches, inklusives Indien verteidigt sich gegen ein hasserfülltes „Neues Indien“ der Mehrheitsherrschaft.“

Premier Narendra Modi hofft auf seine Wiederwahl.
Premier Narendra Modi hofft auf seine Wiederwahl.

© AFP

Modi hatte vor fünf Jahren versprochen, zehn Millionen Arbeitsplätze pro Jahr zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit ist nach den jüngsten Zahlen der staatlichen Statistikbehörde allerdings so hoch wie seit 45 Jahren nicht mehr - die Zahlen kamen nur über die Medien ans Licht; die Regierung veröffentlichte sie nicht und nannte sie unvollständig. „Indien hat eine Jobkrise, und der Regierung wäre es lieb, man würde es nicht bemerken“, schrieb der Ökonom Kaushik Basu in der „New York Times“.

Trotz viel kritisierter Entscheidungen wie der Maßnahme Ende 2016, auf einmal 86 Prozent des Bargeldes aus dem Verkehr zu ziehen, gehört Indiens Wirtschaft unter Modi zu den am schnellsten wachsenden der Welt. Sie ist kurz davor, Großbritannien als weltweit fünftgrößte abzulösen.

Die Entwicklung ist aber ungleich: Inzwischen gibt es mehr als hundert indische Milliardäre, die Mehrheit der Inder lebt aber in Armut. Es fehlt an Jobs, auch für gebildete junge Menschen – etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 35 Jahre. In der riesigen Schattenwirtschaft kann man zwar Arbeit finden, aber meist zu prekären Bedingungen.

Opposition will Mindesteinkommen für die Ärmsten

Staatliche Jobs mit Sozialleistungen sind daher sehr begehrt. Vor wenigen Monaten bewarben sich fast 100.000 Menschen auf 62 ausgeschriebene Stellen als Bote bei der Polizei im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Die Voraussetzungen waren ein Abschluss der fünften Klasse und die Fähigkeit, Fahrrad zu fahren. Berichten zufolge hatten 3700 der Bewerber Doktortitel.

Sowohl die BJP als auch die Opposition von der Kongresspartei (Indian National Congress, INC) versprechen, bei einem Wahlsieg umfangreiche Sozialprogramme einzuführen. Die BJP will den vielen notleidenden Bauern eine jährliche Hilfe zahlen. Mehr als die Hälfte der Inder lebt von der Landwirtschaft. Die INC hat ein Mindesteinkommen für die ärmsten 250 Millionen Bürger angekündigt.

Rahul Gandhi ist der Urenkel des ersten Premierministers.
Rahul Gandhi ist der Urenkel des ersten Premierministers.

© Punt Paranjpe/AFP

Viele der 1,3 Milliarden Inder betrachten solche Wahlversprechen allerdings skeptisch, zu oft sind sie schon enttäuscht worden. Die INC wird auch nach fünf Jahren in der Opposition noch für tiefsitzende Probleme wie die grassierende Korruption verantwortlich gemacht. Die säkulare Mitte-Links-Partei war die meiste Zeit an der Regierung, seit das Land 1947 von Großbritannien unabhängig wurde. Der 48-jährige Parteichef und Spitzenkandidat Rahul Gandhi ist der Urenkel des ersten Premierministers, Jawaharlal Nehru; seine Großmutter Indira Gandhi und sein Vater Rajiv Gandhi hatten ebenfalls das Amt inne.

„Mein Problem ist, dass ich nicht weiß, für wen ich stimmen soll“, fasst der Schriftsteller und ehemalige Manager Gurcharan Das in einem Meinungsbeitrag für die Zeitung „Times of India“ das Denken Vieler zusammen. „Ich bin desillusioniert. Die guten Tage sind nicht gekommen, wohl aber der Nationalismus, und das Indien, das ich liebe, verändert sich“, schreibt er. „Ich bin umgeben von Modi-Jüngern und Modi-Hassern, und beide finde ich leicht abstoßend.“ (dpa)

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