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Chirac muss wegen Veruntreuung vor Gericht

© dpa

Scheinverträge: Jacques Chirac muss vor Gericht

Die französische Justiz ermittelt gegen den früheren Präsidenten wegen Scheinverträgen für Freunde. Jetzt muss sich Jacques Chirac vor Gericht verantworten.

Frankreich steht vor einer juristischen Premiere. Zum ersten Mal in der Geschichte der V. Republik soll sich ein früherer Staatschef vor Gericht verantworten. Gegen den Widerstand der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren niederschlagen wollte, entschied die Pariser Untersuchungsrichterin Xavière Simeoni gestern, den ehemaligen Präsidenten Jacques Chirac wegen einer Affäre aus seiner Amtszeit als Pariser Bürgermeister vor Gericht zu schicken. In dem Verfahren geht es um 21 mutmaßliche Gefälligkeitsjobs, von denen Freunde Chiracs oder deren Angehörige auf Kosten des Pariser Steuerzahlers profitierten, ohne jemals eine Tätigkeit im Dienste der Hauptstadt ausgeübt zu haben. Wegen Veruntreuung und Vertrauensmissbrauch drohen dem 76-jährigen Altpräsidenten Strafen, die laut Gesetz bis zu zehn Jahren Haft und 375 000 Euro gehen können.

In einem Kommuniqué erklärte Chiracs Büro am Freitag, dieser sehe dem Verfahren „gelassen“ entgegen und sei entschlossen zu beweisen, dass es sich um keine Scheinarbeitsverhältnisse gehandelt habe. Die Tatsache, dass sich der Beschluss zur Eröffnung des Verfahrens nur auf 21 von den insgesamt 481 untersuchten Arbeitsverhältnissen stütze, zeige, dass es sich bei den Einstellungen nicht um ein „System“ gehandelt habe. Neben Chirac sollen acht weitere Personen auf der Anklagebank Platz nehmen, unter ihnen der frühere Abgeordnete Jean de Gaulle, ein Enkel des Generals Charles de Gaulle, François Debré, ein Bruder des derzeitigen Präsidenten des Verfassungsrats Jean-Louis Debré, sowie zwei damalige Bürochefs Chiracs.

Bei Chiracs Amtsantritt 1977 als Stadtoberhaupt befanden sich unter den 40 000 Beschäftigten des Rathauses 18 „chargés de mission“ im Dienste des Bürgermeisters. Bei seinem Ausscheiden 1955 war die Zahl auf 699 gestiegen. Unter ihnen befanden sich die Namen von Assistenten bekannter Sportler, von Hilfskräften seines Wahlbüros im Département Corrèze, der Fahrer eines Gewerkschaftsbosses und eines Senators (der Arbeitsvertrag des Letzteren trägt als einziger Chiracs eigenhändige Unterschrift) sowie von Verwandten und Frauen politischer Freunde wie die des Bürgermeisters von Dijon, die nach eigenen Aussagen das Pariser Rathaus nie betreten hat. Vor der Richterin rechtfertigte Chirac die Einstellung der „kompetenten, motivierten und mir politisch nahe stehenden Personen“ mit dem großen Beratungsbedarf auf Grund seiner vielfältigen politischen Aufgaben.

Von den zahlreichen Affären, die Chiracs Präsidentschaft überschatteten, ist die um die „chargés de mission“ genannten fiktiven Beauftragten, die einzige, die ein juristisches Nachspiel haben soll. In den anderen Affären, bei denen es unter anderem um illegale Zahlungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge der Stadt Paris oder der Hauptstadtregion für die Wahlkampfkasse Chiracs ging, wurde er nicht belangt. Im Prozess um die Bezahlung von Parteimitarbeitern auf Kosten des Pariser Steuerzahlers hatte der zu einer Bewährungsstrafe und zeitweiligem Verlust seiner Wahlämter verurteilte frühere Premierminister Alain Juppé den Kopf für Chirac hinhalten müssen. In einem Fernsehinterview hatte Chirac auf eine Frage nach seiner persönlichen Verwicklung in die illegalen Machenschaften mit dem berühmt gewordenen Wort geantwortet, die Vorwürfe seien „abracadabrantesque“ und würden sich in Luft auflösen.

Die Untersuchung wegen der Schein-Jobs führte erst jetzt zu einer Anklageerhebung, da Chirac während seiner Amtszeit als Präsident vor gerichtlicher Verfolgung geschützt war. Nach einem Spruch des Kassationshofs, der obersten Rechtsinstanz Frankreichs, von 2001, konnten eventuelle Straftaten in dieser Zeit jedoch nicht verjähren.

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