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Lagebesprechung. Ukrainische Soldaten werden von einer Straßensperre der prorussischen Kräfte auf ihrem Weg in die Großstadt Slawjansk aufgehalten.

© AFP

Krise in der Ukraine: Jagd auf „Igor den Schützen“

Zugleich mit der Militäraktion Kiews liefern sich beide Seiten eine Propagandaschlacht. In Slawjansk ist den ganzen Tag gekämpft worden. Am Abend starben mindestens 40 Menschen bei einem Brand in Odessa, der wohl durch Kämpfe von Demonstranten beider Seiten ausgelöst wurde.

In der ostukrainischen Stadt Slawjansk ist es am Freitag wieder zu schweren Kämpfen zwischen Soldaten der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten gekommen. Die Übergangsregierung spricht von einer Anti-Terror-Aktion. Für die Rebellen ist es ein „Angriff der Faschisten aus Kiew“. Ziel der ukrainischen Armee dürfte die Festnahme von Igor Gurkin, Kampfname „Igor Strelkow“ („der Schütze“), sein. Der Mann mit dem Schnurrbart ist Offizier beim russischen Auslandsgeheimdienst und Kommandeur der bewaffneten Rebellen in der Ostukraine.

Bereits am frühen Morgen wurden über Slawjansk zwei Hubschrauber der ukrainischen Armee von den Separatisten abgeschossen. Die Rebellen verwendeten schwere Waffen. Es gab Opfer, offiziell ist von zwei toten ukrainischen Soldaten die Rede, bei den Separatisten sollen sechs Männer ums Leben gekommen sein, auf beiden Seiten gab es Verletzte.

Der selbst ernannte Bürgermeister der Stadt, Wjatscheslaw Ponomarjow, drohte in einem Video, er habe die Menschen in Donezk auf seiner Seite. Die Angreifer würden „eine Abreibung erhalten“. Frauen, Alte und Kinder sollten besser zu Hause bleiben. Die Stadt wirkte wie gelähmt, das öffentliche Leben war stark eingeschränkt, es fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel, auch frische Lebensmittel fehlten in einigen Geschäften.

Der ukrainische Geheimdienst SBU warnte die Bewohner in Slawjansk ebenfalls – vor „verminten Straßen“ und vor „Scharfschützen“. In der gesamten Stadt laufe derzeit bis auf unbestimmte Zeit, eine „Anti-Terror-Aktion“ des Militärs. „Gehen Sie nicht vor die Tür, es besteht Lebensgefahr“, hieß es in Hinweisen, die das ukrainische Radio sendete.

Das öffentliche Leben in der Region Donezk ist zum Erliegen gekommen

Der Bahnverkehr kam in weiten Teilen der Region Donezk komplett zum Erliegen. Auch in Kramatorsk, dort befindet sich ein großes Waffenlager der ukrainischen Armee, fuhren am Freitag keine öffentlichen Verkehrsmittel; die Stadt soll Medienberichten zufolge wie „ausgestorben“ gewirkt haben.

Die Lage in der Region wird von Medien und Augenzeugen als sehr angespannt beschrieben. Am Vormittag waren vier amerikanische und englische Journalisten sowie mehrere ukrainische Mitarbeiter von Separatisten festgenommen worden. Am Nachmittag waren die Reporter, die für CBS, Sky News und Buzz Feed aus der Ukraine berichten, wieder frei.

In mehr als einem Dutzend Städte in der Ostukraine halten pro-russische Separatisten inzwischen Gebäude besetzt. Die am Donnerstag gestürmte Staatsanwaltschaft in der Stadt Donezk wurde am Freitag zwar wieder geräumt, doch dann stürmten 40 Bewaffnete die Stadtverwaltung in Stachanow, einer 75 000-Einwohner- Stadt in der Region Lugansk. In Krasnoarmijsk, das gut 65 000 Einwohner zählt, im Gebiet Donezk überfielen Vermummte eine Lagerhalle des Innenministeriums, um zwei Panzerfahrzeuge in ihre Gewalt zu bringen – der Versuch scheiterte.

Die OSZE-Militärbeobachter sind weiter verschwunden

Wie es den sieben entführten OSZE-Militärbeobachtern geht, ist unbekannt. Die moskautreuen Separatisten in der Ostukraine wollen ihre auch aus Deutschland stammenden Geiseln nach russischen Angaben unter Bedingungen freilassen. Die festgehaltenen Militärbeobachter sollten in die Obhut des russischen Sondergesandten Wladimir Lukin kommen, der sich derzeit in der Ostukraine aufhalte. Das teilte das Außenamt in Moskau am Freitagabend nach einem Telefonat von Außenminister Sergej Lawrow mit dem Schweizer Bundespräsidenten und amtierenden OSZE-Vorsitzenden Didier Burkhalter mit. Voraussetzung sei, dass Lukins Mission nicht von ukrainischen Truppen behindert werde. Burkhalter habe zugesagt, entsprechend auf Kiew einzuwirken. Die Geiseln sind seit einer Woche in der Hand der Separatisten.

Vor dem ebenfalls brennenden Gewerkschaftshaus der südukrainischen Stadt Odessa brennen Barrikaden. Eine zunächst friedliche Demonstration von pro-ukrainischen Fußballfans ist von Vermummten angegriffen worden und verlagerte sich dann vor das Gewerkschaftshaus. Bei dem Brand starben mindestens 40 Menschen.
Vor dem ebenfalls brennenden Gewerkschaftshaus der südukrainischen Stadt Odessa brennen Barrikaden. Eine zunächst friedliche Demonstration von pro-ukrainischen Fußballfans ist von Vermummten angegriffen worden und verlagerte sich dann vor das Gewerkschaftshaus. Bei dem Brand starben mindestens 40 Menschen.

© Reuters

Am Donnerstag hatte ein Bericht eines Mannes für Aufsehen gesorgt, der dem ukrainischen Fernsehsender Gromadske TV erzählte, er sei mehrere Tage von den prorussischen Rebellen in einem Gefängnis festgehalten worden. Unter den Gefangenen sei das Gerücht umgegangen, im gleichen Gebäude gebe es eine Zelle für „VIP-Häftlinge“, damit seien ausländische Geiseln und hochrangige Ukrainer gemeint. Der Mann, dessen Identität nicht genannt wurde, konnte keine Angaben darüber machen, wo sich das Gebäude mit der Zelle befunden hat. Er sei mit verbundenen Augen und gefesselt in einem Auto dorthin gebracht worden. Nach mehreren Tagen wurde er nachts freigelassen.

In Odessa sind Dutzende Menschen ums Leben gekommen

Im bisher vergleichsweise ruhigen Odessa ist es am Freitagnachmittag und Abend zu Straßenschlachten zwischen ukrainischen und pro-russischen Demonstranten gekommen. Aus Anlass des Fußballspiels zwischen Tschernomorez Odessa und Metallist Charkiw veranstalteten Fans der beiden Teams einen „Ukrainischen Marsch für die Einheit“. Die Kundgebung wurde von vermummten, bewaffneten Männern angegriffen, dabei wurden drei Menschen erschossen.

Die Auseinandersetzung verlagerte sich dann vor und in das Gewerkschaftshaus. Die Anhänger der Regierung in Kiew standen davor, die pro-russischen Aktivisten hatten sich ins Haus zurückgezogen. Offenbar wurde aus beiden Gruppen mit Molotow-Cocktails geschossen. dabei geriet das Gewerkschaftshaus in Brand. Nach offiziellen Angaben starben dabei 40 Menschen, die meisten erstickten an den Rauchgasen, acht Menschen stürzten sich in Panik aber auch aus dem Fenstern des Gebäudes. Odessa liegt im Süden der Ukraine nahe der Krimhalbinsel. (mit dpa)

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