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Flucht nach Europa: Juristen kritisieren geplante EU-Asylreform
Die EU will nächstes Jahr ihr Asylsystem reformieren. Vor allem die Verewigung des gescheiterten Dublin-Systems halten Fachleute für problematisch.
Die laufende Reform des EU-Asylsystems wird aus Expertensicht alte Fehler nicht reparieren und zugleich die Möglichkeiten drastisch einschränken, sie auf nationaler Ebene zu mildern. Das größte Problem des Reformpakets sei: „Man geht von falschen Grundannahmen aus“, sagte Constantin Hruschka, der am Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik zum europäischen Asylrecht forscht.
Zwischen Brüssel und Jamaika
Dies betreffe einmal die Reformierbarkeit des sogenannten Dublin-Systems, das die Zuständigkeit für Asylverfahren dem Staat zuteilt, wo Geflüchtete als erste ihren Fuß auf EU-Boden setzen. Dieses System, so Hruschka, habe „nie funktioniert“. Außerdem verstehe die EU-Kommission, die letztes Jahr ihre Reformvorschläge vorlegte, die Motive von Flüchtlingen nicht, so Hruschka, die nicht nach den günstigsten staatlichen Leistungen für Flüchtlinge entschieden. Sie wollten dahin, wo ihre Familien bereits seien, wo sie sich Arbeitschancen ausrechneten oder glaubten, am ehesten zurechtzukommen. Der Reformvorschlag des Europäischen Parlaments bezieht diese Motive ein.
Es könne nicht um ein neues System „auf dem Papier“ gehen, sagte die Berliner Asylrechtsanwältin Berenice Böhlo. „Was sich ändern muss, ist die Praxis in den EU-Ländern.“ Syrer beispielsweise verließen Bulgarien, weil sie dort, auch wenn sie das Recht haben, ihre Familien praktisch nie nachholen können. Böhlo wie Hruschka sprachen auf Einladung des Mediendiensts Integration.
Die Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“, das nach 14 Jahren Arbeit 2013 in Kraft trat, könnte vieles gegenstandslos machen, worum Union, FDP und Grüne in den aktuellen Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition gerade streiten. Erstmals soll EU-Asylrecht vor allem über Verordnungen laufen und damit unmittelbar in den Mitgliedstaaten gelten; Richtlinien dagegen müssen in nationales Recht umgesetzt werden, was auch nationale Spielräume öffnet. Zudem soll die Dublin-Zuständigkeit fürs Asylverfahren künftig Ewigkeitsgarantie haben – bisher haben Geflüchtete Chancen, wenn sie in den Staat ihrer Wahl weiterwandern. Er kann das Verfahren nach Ablauf gewisser Fristen übernehmen, auch wenn ursprünglich Italien oder Griechenland die Ankunftsländer und deshalb zuständig waren. Insgesamt, so die Experten, werde die Reform all das „weitgehend aushebeln“, was die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof bisher für Geflüchtete an Verbesserungen erreichte.
EU-Länder sind noch uneins
Böhlo wie Hruschka wiesen auch auf praktische Probleme des geltenden wie des reformierten Systems hin: Schon bisher sei „wahnsinniger Aufwand“ (Böhlo) nötig, um etwa in Deutschland per saldo jährlich 2000 Flüchtlinge im Dublin-System zurückzuschicken und andere von EU-Partnerländern entgegenzunehmen. Europäischer werde das System auch deswegen kaum, weil Klagen weiter vor nationalen Gerichten landeten, so Hruschka.
Die EU will die Reform noch 2018 beschließen. Derzeit hat der Europäische Rat, das Organ der nationalen Regierungen, aber noch keine Verhandlungslinie.