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Eine Abtreibungsgegnerin beim jährlichen "March for Life" Ende Januar in Washington D.C.

© Leah Millis, Reuters

In den USA klauen Rechte linke Argumente: Kann eine Abtreibung ein Akt der Diskriminierung sein?

Einige US-Bundesstaaten verbieten Abtreibungen aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts oder einer möglichen Behinderung des Kindes. Das folgt einer Strategie.

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Wer setzt sich gegen Diskriminierung und Rassismus ein? Wer kämpft für die Rechte von Behinderten? Die Antwort lautet gemeinhin: Das tun linke, progressive und liberale Organisationen. Doch in den USA drehen rechte, reaktionäre und konservative Organisationen den Spieß einfach um. Zumindest rhetorisch. Immer häufiger benutzen sie Antidiskriminierungsargumente, um das Recht auf Abtreibung zu kippen, das im Jahre 1973 durch ein Urteil des Obersten Verfassungsgerichts im Fall „Roe v. Wade“ festgeschrieben worden war.

In elf Bundesstaaten sind bereits Abtreibungen aufgrund von Geschlechtspräferenzen verboten. In vier Bundesstaaten aufgrund der Hautfarbe des Embryos. Ebenfalls in vier Bundesstaaten werden Ärzte bestraft, wenn sie Föten abtreiben, weil die schwangere Frau kein behindertes Kind zur Welt bringen wollte.

Die Kampagne, die vor acht Jahren in North Dakota begann, fand seine jüngste Fortsetzung Ende Januar im Bundesstaat South Dakota. Gouverneurin Kristi Noem, eine entschiedene Abtreibungsgegnerin, die sich selbst als „family-first governor“ bezeichnet, brachte den „Down syndrome abortion ban“ ins Parlament ein. Sollte die Gesetzesinitiative „House Bill 1110“ das Parlament passieren, womit wegen der Mehrheitsverhältnisse zu rechnen ist, droht Ärzten, die eine Abtreibung auf Grundlage einer Down-Syndrom-Diagnose durchführen, eine zweijährige Haftstrafe.

Gegen das Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1973

Im vergangenen November wurde durch das Urteil eines Bundesberufungsgerichtes in Tennessee ein Gesetz für rechtens erklärt, das Abtreibungen aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts oder einer möglichen Behinderung des Kindes unter Strafe stellt. Im März 2020 fand in Cincinnati, Ohio, eine Anhörung über den „Ohio Down Syndrome Non-Discrimination Act“ statt. Auch er verbietet Abtreibungen, wenn die schwangere Frau als Grund dafür angibt, kein behindertes Kind zur Welt bringen zu wollen. Etwa 6000 Babys mit Down-Syndrom werden in den USA jährlich geboren.

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Kann eine Abtreibung ein Akt der Diskriminierung sein? „Ein ungeborenes Kind zu töten, weil es mit dem Down-Syndrom diagnostiziert worden war, ist die ultimative Manifestation von Diskriminierung“, sagt Tony Lauinger von einer „Pro-Life-Organisation“. Abtreibungsgegner wie er bringen immer wieder den Begriff der „Euthanasie“ in die Debatte ein. Außerdem betonen sie, dass ihre Gesetzesinitiativen nicht ein generelles Verbot von Abtreibungen zum Ziel hätten – denn das widerspräche dem Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1973.

Das Vertrauensverhältnis zu dem Arzt wird gestört

Das allerdings bestreiten energisch Frauenorganisationen, die für das Recht auf Abtreibung kämpfen. Durch die sogenannten „reason bans“ würden Frauen ihrer Rechte beraubt. Niemand dürfe sich anmaßen, gewissermaßen in ihre Köpfe hineinzuschauen. In den meisten Fällen hätten Schwangere, die sich für eine Abtreibung entschieden, eine Vielzahl von Motiven. Eine pränatale Diagnose zum Maßstab zu machen, verkenne das. Überdies werde durch derartige Gesetze das kommunikative Vertrauensverhältnis zwischen einer Schwangeren und ihrem Arzt gestört.

Beide Seiten sind sich einig, dass „reason bans“ letztlich eine Reversion des Verfassungsgerichtsurteils aus dem Jahr 1973 bewirken sollen. Dort haben, seit der Präsidentschaft von Donald Trump, konservative Richter eine Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. Die Abtreibungsgegner hoffen, durch den Hebel der Antidiskriminierung das Oberste Gericht dazu zu bewegen, sich erneut mit der Materie zu befassen - in ihrem Sinne.

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