
© dpa/Panama Pictures/Christoph Hardt
Karneval in Kriegszeiten: Wie fröhlich kann er werden?
In dieser Woche beginnt in vielen Städten Deutschlands der Karneval. Wie soll man damit umgehen angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine? Drei Experten antworten.
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Fast ein Jahr schon dauert der Angriff Russlands gegen die Ukraine. Vielen Menschen ist angesichts des Krieges nicht nach karnevalistischem Frohsinn zumute. Darf man trotzdem feiern? In unserer Serie „3 auf 1“ erklären drei Expert:innen, was jetzt zu tun ist. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.
Auch das Feiern ist sinnvoll
Widersprüchliche Überzeugungen oder Handlungen führen zu einem als „Kognitive Dissonanz“ bekannten unangenehmen Spannungszustand. Um ihm zu entgehen, blenden wir unpassende Informationen aus. Ist es also ein Zeichen von Dissonanz, dass wir trotz des Krieges in der Ukraine feiern möchten? Im Extrem ist das möglich, wenn Feiern bedeutet, sich zu betäuben und auf Dauer nichts anderes mehr wahrzunehmen. Dies wäre jedoch nicht nur moralisch, sondern auch aus vielen weiteren Gründen bedenklich. Zumeist ist Feiern schlicht ein Ausdruck von Lebensfreude und Gesundheit, der neben anderen Gefühlen und Gewohnheiten seinen Platz hat. Daher ist ein Entweder-Oder weit weniger sinnvoll als ein Sowohl-als-Auch: Sowohl das Feiern als auch die Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine sind sinnvoll.
Was und wann gefeiert wird sollte jeder für sich selbst entscheiden. Auf Fröhlichkeit völlig zu verzichten, nutzt jedoch weder dem anderen noch mir. Tatsächlich reicht der Verzicht auf eine Karnevalssitzung nicht im Entferntesten an das Leid heran, dass die Soldaten an der Front und deren Angehörige aus Angst um sie erleiden. Empathie, ein bewusstes Engagement für andere, Dankbarkeit für unsere relative Leidfreiheit – und auch ausgelassene Fröhlichkeit – lassen uns unsere Verbundenheit mit anderen spüren, geben uns Zuversicht und Mut und stärken so auch eine bewusste Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeit und Krieg.
Putin sollte es nicht gelingen, uns den Frohsinn auszutreiben
Historisch gibt es keine klaren Antworten dazu. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg fielen die großen Umzüge aus, ebenso 1991 beim zweiten Golfkrieg. Letztes Jahr pausierten die Düsseldorfer wegen des Ukrainekriegs, während die Kölner den Umzug in eine spontane Friedensdemo verwandelten. Bei anderen Kriegen feierten die Jecken. Die Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien beendeten die „5. Jahreszeit“ ebenso wenig wie die in Syrien und Afghanistan, obgleich nun die Bundeswehr beteiligt war und viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen.
Irgendwo ist immer gerade Krieg, könnte man zynisch entgegnen. Ob der Karneval als legitim gilt, hängt nicht vom Ausmaß der Kriegsgewalt ab, sondern vom Grad des öffentlichen Protestes und der emotionalen Betroffenheit. Und diese war 1991 und 2022 groß. Allerdings: Die Umzüge und Reden sind auch plakative politische Proteste gegen die Mächtigen. Die Putin-kritischen Wagen unterstreichen den frechen Frohsinn. Putin sollte es nicht gelingen, diesen aus Europa auszutreiben.
„Komm, loss mer fiere“
Im Jahre 1991 haben wir „Höhner“ auf den wegen des Golfkrieges ausgefallenen Straßenkarneval reagiert und ein Lied geschrieben: ‘Komm loss mer fiere nit lamentiere‘, lasst uns feiern und nicht über alles Dunkle in der Welt schimpfen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. ‘Jet Spass un Freud dat hät noch keinem Minsch jeschad‘, Spaß und Freude haben noch niemandem geschadet, sie helfen Energie zu tanken für all die schweren Aufgaben, die vor uns stehen. ‚Denn die Trone die do laachs musste nit kriesche‘, denn die Tränen, die du lachst, kannst du nicht mehr weinen. ‘Komm loss mer fiere op kölsche Art’, lasst uns Karneval feiern.
Im Strophentext heißt es weiter: ‚an dä Sorje schunkele mer schon nit vorbei‘. An den Sorgen schunkeln wir schon nicht vorbei. In Köln gibt es über 200.000 Ehrenamtler, im sozialen Bereich, in Vereinen und im Karneval, die auch gerade heute wieder alles Mögliche organisieren, um in der Erdbebenkatastrophe zu helfen oder die Ukraine zu unterstützen. ‘Alles hät sing Zick un nix es einerlei’, alles hat seine Zeit und das, was auf der Welt passiert, geht uns alle an. ‘Jedeilte Freud heiss dubbelt Freud, un dat deit richtig jot‘, Freude beim Feiern und beim Helfen tut doppelt gut. ‘Wammer lache oder kriesche , dat regelt kei Jebot‘, Wann wir lachen oder Weinen das regelt kein Gebot. Keiner darf uns sagen, wann wir das eine zu tun oder das andere zu lassen haben.
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