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Sexueller Missbrauch in der Kirche: Keiner weiß, wie viele es traf

Kritik an der katholischen Kirche: Sie kann nicht sagen, wie vielen Kindern und Jugendlichen in der Vergangenheit durch Geistliche und andere Kirchenmitarbeiter sexuelle Gewalt angetan wurde. Das ist wissenschaftlich seriös auch nicht möglich herauszufinden, sagen nun Forscher.

Vor fünf Jahren wurde bekannt, dass am Berliner Canisius-Kolleg in den 70er und 80er Jahren systematisch Jugendliche von Jesuitenpatres sexuell missbraucht wurden. Doch nach wie vor ist nicht klar, wie viele Minderjährige insgesamt im Bereich der katholischen Kirche in Deutschland so etwas erleben mussten. Vermutlich wird es eine solche Statistik nie geben. „Eine quantitative, repräsentative Studie ist nicht möglich“, sagte der Mannheimer Psychologe Harald Dreßing am Donnerstag in Berlin. Mehr als „Kennzahlen“ werde es nicht geben.

Kreuz und Schatten. Seitdem bekannt wurde, dass Geistliche Jugendliche missbraucht haben, ist viel Vertrauen in die Kirche verloren gegangen.
Kreuz und Schatten. Seitdem bekannt wurde, dass Geistliche Jugendliche missbraucht haben, ist viel Vertrauen in die Kirche verloren gegangen.

© picture-alliance

Dreßing erforscht mit anderen Psychologen und Kriminologen der Universitäten Heidelberg und Gießen im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs. In Einzelgesprächen mit 150 Opfern und 70 Tätern sowie durch die Sichtung ausgewählter kirchlicher Personalakten wollen sie herausfinden, wie es zu Missbrauchsfällen durch Geistliche und andere kirchliche Mitarbeiter kommen konnte. Das Projekt läuft seit vergangenem Sommer, kostet die Bischofskonferenz 980 000 Euro und soll 2017 beendet sein.

Das Vorgängerprojekt scheiterte

Es ist der zweite Anlauf, die Fälle sexueller Übergriffe in der Kirche wissenschaftlich aufzuarbeiten. Das Vorgängerprojekt leitete der Kriminologe Christian Pfeiffer. Es scheiterte unter anderem an der Frage, wer die zu untersuchenden Personalakten in den Bistümern auswählt. Dreßing ist der Ansicht, in den Personalakten finde sich alleine sowieso „nicht die Wahrheit“. Wichtiger seien die Interviews mit Opfern und Tätern. Sie würden die entscheidenden Hinweise geben, auf deren Basis man dann Akten auswählen werde.

Nach den ersten Interviews zeichne sich ab, dass bei Tätern häufig Defizite in der Persönlichkeitsentwicklung vorlägen, vor allem was das Verhältnis zu Sexualität und Erotik angehe, sagte der Heidelberger Forscher Andreas Kruse. Wenn Priester mit solchen Defiziten Macht bekämen, könnten sie in bestimmten sozialen Situationen zu einem Risiko für Jugendliche werden.

Die Priesterausbildung wird weltweit überarbeitet

Um solchen Defiziten entgegenzuwirken, werde weltweit die Priesterausbildung überarbeitet, sagte der Jesuitenpater Hans Zollner. Er leitet im Vatikan ein neues „Zentrum für Kinderschutz“. Es müsse noch viel getan werden. So müssten zum Beispiel die kirchlichen Strafbehörden personell und finanziell viel besser ausgestattet werden. Auch müssten sie transparenter arbeiten, sagte Zollner. Jetzt ist es so, dass Opfer oft jahrelang warten müssen, bis sie ein Ergebnis aus Rom bekommen, ohne dass sie etwas über den Fortgang des Prozesses erfahren.

Claudia Keller

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