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Kirche und MIssbrauch: Vatikan: Geschwätz des Augenblicks

Der Vatikan sichert Papst Benedikt XVI. volle Solidarität zu – und verliert über die Missbrauchsfälle kein Wort.

Papst Benedikt XVI. hat die Ostertage ohne ein Wort zu den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche verstreichen lassen. Dafür hat der ranghöchste Kardinal, Angelo Sodano, deutlich gemacht, dass im Vatikan jetzt ein anderer Wind weht.

In einer protokollarisch beispiellosen Solidaritätsadresse zu Beginn der Ostermesse auf dem Petersplatz versicherte Sodano vor zehntausenden von Gläubigen dem Papst, die ganze Kirche schare sich um ihn: „Mit Ihnen, Heiliger Vater, sind die Kardinäle, die Mitarbeiter in der Kurie, die 3000 Bischöfe und die 400 000 Priester in aller Welt.“ Sodano sagte, an der Seite des Papstes stehe die gesamte Kirche, „die sich nicht beeindrucken lässt vom Geschwätz des Augenblicks und von den Prüfungen, die bisweilen kommen, um die Gemeinschaft der Gläubigen zu treffen.“ Jesus, so Sodano, habe gesagt: „In der Welt seid ihr bedrängt, aber habt Mut, ich habe die Welt besiegt.“

Der Dekan des Kardinalskollegiums ging so weit, mit einem Bibelzitat Parallelen zu ziehen zwischen den Anschuldigungen gegen Benedikt XVI. und dem Leiden Jesu selbst: „Er wurde geschmäht, antwortete aber nicht mit Schmähungen. Er wurde bedroht, drohte aber nicht mit Rache, sondern überließ sich dem, der mit Gerechtigkeit urteilt.“ Der ranghöchste Kardinal schloss mit den Wünschen: „Frohe Ostern, Heiliger Vater, frohe Ostern, sanftmütiger Christus auf Erden, die Kirche ist mit dir!“

Sodano dürfte sich nicht nur auf die allgemeine Kritik am „schweigenden“ Benedikt XVI. bezogen, sondern vor allem die konkreten Anschuldigungen US-amerikanischer und deutscher Medien im Kopf gehabt haben. Die „New York Times“ und andere Zeitungen aus den USA hatten versucht, mit umfangreichen Dossiers dem Papst und früheren Chef der Glaubenskongregation eine persönlich bestimmende Rolle bei der Vertuschung von Missbrauchsfällen nachzuweisen. Wiederholt und teils verschärft wurden in US-Zeitungen auch die Vorwürfe deutscher Medien, Joseph Ratzinger habe in seiner Zeit als Erzbischof von München-Freising (1977 bis 1981) wissentlich einen pädophilen Priester eingestellt und ihn mit seelsorgerischen Aufgaben betraut.

Der Sprecher des Vatikans, Pater Federico Lombardi, wies die Anschuldigungen als bewusst „abwegige“ Konstruktionen zurück, die nur dazu dienten, den Papst persönlich in die Affären hineinzuziehen. Gleichzeitig sammelte der „Osservatore Romano“, die offizielle Zeitung des Vatikans, Solidaritätsbekundungen von Bischöfen aus aller Welt. So wird der Pariser Kardinal André Vingt-Trois einerseits mit innerkirchlicher Kritik, andererseits mit den Worten zitiert, die aktuelle Medienoffensive ziele „mittels grobschlächtiger Propaganda“ darauf ab, „den Papst zu destabilisieren und mit ihm die Kirche“.

Der Papst selbst war weder in seinen Predigten der Karwoche noch an Ostern auf die Missbrauchsskandale zu sprechen gekommen. Bei der Feier der Osternacht erinnerte er in allgemeiner Weise an das christliche Taufversprechen, das eine „Absage an den Satan“ enthält. Benedikt rief in diesem Zusammenhang dazu auf, „Unzucht und Unsittlichkeit, die Gewänder des Todes“ abzulegen. Auf innerkirchliche Probleme ging er nicht ein.

Auch beim traditionellen Ostersegen „Urbi et Orbi“ am Sonntag wandte sich Benedikt XVI. nur nach außen: So wünschte er – wie jedes Jahr – Frieden im Heiligen Land, im Irak und in Afrika, sorgte sich um jene „Länder Lateinamerikas und der Karibik, in denen die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Rauschgifthandel gefährlich zunimmt“ und sprach den erdbebenverwüsteten Staaten Haiti und Chile Mut zu.

Was die Vorwürfe aus den USA gegenüber Joseph Ratzinger im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal um den US-Priester Lawrence Murphy anbelangt, veröffentlichte unterdessen „Die Zeit“ auf ihrer Internetseite mehrere Vatikan-Dokumente als Faksimile, die den heutigen Papst entlasten. So habe 1998 nicht Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation, sondern Tarcisio Bertone als Sekretär der Glaubenskongregation die Aufklärung in dem Missbrauchsskandal um den US-Priester gebremst. Bertone ist heute Kardinalstaatssekretär und damit praktisch Regierungschef im Vatikan. „Zeit online“ veröffentlichte ein geheimes Sitzungsprotokoll, das Teil eines Briefwechsels zwischen dem Vatikan und dem damals für die Ermittlungen zuständigen Erzbischof von Milwaukee, Rembert Weakland, im Fall Murphy sei. Der Pater, der eine katholische Gehörlosenschule leitete, soll zwischen 1950 und 1974 bis zu 200 Kinder sexuell missbraucht haben.

Das Dokument, ein Hilfeersuchen des ermittelnden US-Erzbischofs, war zwar an Ratzinger gerichtet. Allerdings wurde der Fall von seinem Stellvertreter Bertone gehandhabt, wie inzwischen auch der Vatikan betont hat. In einem vertraulichen Brief vom 6. April 1998 an den zuständigen Erzbischof der Diözese von Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin hat laut „Zeit“ Bertone deutlich gemacht, dass der Vatikan von einem Kirchenprozess gegen den geständigen Täter abrate. Vorausgegangen war eine Eingabe des beschuldigten Priesters beim Vatikan, ihn aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes, seines hohen Alters sowie seiner „friedlichen“ Lebensführung im Priesterstand zu belassen. Diese Argumente habe Bertone sich in seinem Schreiben zu eigen gemacht, schreibt „Die Zeit“.

Als der amerikanische Erzbischof auf der Entlassung Murphys aus dem Priesterstand beharrte, kam es am 30. Mai 1998 zu einem Krisengipfel in Rom. Nach dem von der Glaubenskongregation verfertigten Protokoll des Treffens, bei dem Bertone den Vorsitz führte, habe Bertone dabei seine nach Rom gereisten Bischofskollegen aus den USA gewarnt vor der „immanenten Schwierigkeit, ein solches Verbrechen in einem Verfahren zu ahnden, dessen Durchführung in strengster Geheimhaltung erfolgen muss“. mit dpa

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