
© dpa/Niklas Graeber
Klarnamenpflicht im Internet?: Demokratie muss Bürger unter Pseudonym aushalten
Alle Jahre wieder wird eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Unweihnachtlich und undemokratisch wäre eine solche Entwicklung – meint unser Autor.
Stand:
Es gibt gute, sehr gute Gründe für eine Klarnamenpflicht im Internet. Andreas Voßkuhle, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, fordert sie. Er sagt, Hass und Hetze würden eingeschränkt oder jedenfalls leichter verfolgbar. Und das wäre gut.
Ein weihnachtlicher Gedanke
Dass Internet-Trollen und Hetzenden das Handwerk gelegt wird, dass Politikerinnen und Politiker sowie Personen des Öffentlichen Lebens geschützt werden, oder auch dass die Kommentarspalten auf den Social-Media-Kanälen des Tagesspiegel im besten Fall ruhiger und sachlicher werden, Hasser und Hetzer verstummen, ist ein schöner – ja nahezu ein weihnachtlicher Gedanke. Davor können wir uns nicht verschließen. Oder?
Wer soll das kontrollieren?
Mir fehlt bei all der augenscheinlichen Sinnhaftigkeit einer Klarnamenpflicht die Fantasie, wie dieses Gesetz, das Voßkuhle verfassungsrechtlich verankern möchte, umgesetzt und kontrolliert werden sollte. Stichwort: Neuland.
Immerhin debattieren wir auch darüber, ob wir Social Media für Minderjährige nicht einfach direkt ganz sperren. Anstatt rechtsstaatlich in der Lage zu sein, Soziale Plattformen zu einem Ort zu machen, an dem unter 18-Jährige gut und gerne und ungefährdet online sein können, kapitulieren wir vor dem digitalen Mob und sperren Kinder aus. Wie unweihnachtlich.
Da glaube ich nicht, dass der gleiche Rechtsstaat Klarnamen im Internet durchsetzen kann. Wie? Welche Polizei soll das durchsetzen?
Alle Macht im Staate geht vom Volk aus – bis es sie nicht mehr tut
Eine Klarnamenpflicht im Internet ist eine gefährliche Forderung. Denn das Internet braucht seine anonymen Orte.
Stellen Sie sich vor, Sie möchten sich im Internet austauschen. Weil sie nicht wollen, dass es namentlich nachvollziehbar ist, dass Sie nicht wissen, wie Sie das Messer der neuen Heckenschere wechseln? Weil Sie nicht wollen, dass es namentlich nachvollziehbar ist, dass Sie Nasenspray nehmen? Ihre Selbsthilfegruppe tauscht sich aber dazu online aus.
Voßkuhle fordert schlussrichtig, es müsse weiter möglich sein, „die Regierung zu kritisieren, ohne persönlich Sanktionen befürchten zu müssen“. Aber was ist, wenn die Macht im Staate nicht mehr vom Volk ausgeht. Die mutigen Frauen im Iran, die vor allem auf Twitter (heute leider X) gegen Kopftuchzwang und Unterdrückung protestierten – für sie könnte eine Klarnamenpflicht lebensgefährlich sein.
Es gibt banal erscheinende Beispiele wie das der Heckenschere. Und es gibt den Kampf für Demokratie. Beiden liegt zugrunde, dass es pseudo-anonyme Orte geben muss.
Eine Demokratie muss aushalten, dass ihre Bürgerinnen und Bürger unter Pseudonymen digital leben. Im Zweifelsfall ist es nämlich die digitale Anonymität, die sie schützt, falls die Macht im Staat eben nicht vom Volk ausgeht.
Hass als Kapital
Die Klarnamenpflicht ist eine logische Forderung, denn sie ist begründet auf einem faireren Umgang in der demokratischen Mitte des Landes. Und ich möchte auch in einer Utopie leben und digital sein, in der das möglich ist.
Aber: Diejenigen, die Hetze offline in die Mitte der Gesellschaft rücken, sitzen unter anderem im Bundestag. Diejenigen, die Hetze online zulassen, sitzen unter anderem im Silicon Valley. Beide Gruppen tun nichts gegen die Hetze. Beide Gruppen wollen gar nichts verändern, denn sie profitieren vom Hass: die einen, weil ihre sogenannte Politik salonfähig wird und die anderen verdienen mit Algorithmen – die Hass verstärken – ihr Geld. Hier muss der Rechtsstaat ansetzen und nicht den eigenen Bürgerinnen und Bürgern die „Schuld“ anlasten und so die Verantwortung zuschieben.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: