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Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat einen Gesetzesentwurf für die Reform der privaten Altersvorsorge vorgelegt. Am Mittwoch soll er durch das Kabinett.

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Klingbeils Gesetzentwurf für die neue Riester-Rente: Diese sechs Punkte sehen Experten als kritisch an

Der Finanzminister will noch vor Weihnachten ein Update der privaten Altersvorsorge durchs Kabinett bringen. Nicht alle würden davon gleichermaßen profitieren.

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Im Schatten des Ringens um die gesetzliche Rente wickelt Lars Klingbeil (SPD) aktuell die Riester-Rente ab. Denn die ist bei vielen Menschen längst in Ungnade gefallen.

Der Finanzminister arbeitet an einem Update. Die private Altersvorsorge will er grundlegend reformieren. Einfacher, günstiger und rentabler soll sie werden. Und vieles mehr. Noch vor Weihnachten soll sie durchs Kabinett, genauer gesagt am Mittwoch.

Dafür muss es schnell gehen. Aus Sicht mancher Verbände und Verbraucherschützer zu schnell. Am Freitag vor einer Woche haben sie den 114 Seiten langen Gesetzentwurf erhalten. Nach dem Wochenende hatten sie drei Tage Zeit, Stellung zu beziehen.

Für die großen Versicherungs- und Bankenverbände lästig, aber stemmbar. Für manche Sozialverbände und Verbraucherschützer unmöglich. Wertet man die schriftlichen Bewertungen aus und spricht man mit denen, die dafür keine Zeit hatten, zeigt sich: Der Weg zur privaten Rentenrevolution ist noch weit.

Sechs Punkte, die besonders kritisch gesehen werden.


1 Ein Standardprodukt geplant – kann das so funktionieren?

Weil die Riester-Rente vielen Menschen zu komplex und bürokratisch daherkam, soll es nach den Plänen Klingbeils künftig ein Standardprodukt geben. „Dabei handelt es sich um ein besonders einfaches Altersvorsorgedepot“, heißt es im aktuellen Gesetzentwurf. Bedeutet: einfache Sparpläne, begrenzte Wahlmöglichkeiten, wenige Entscheidungen.

Aus Sicht von Verbraucherschützern kann von einem Standardprodukt nicht die Rede sein. „Statt eines einheitlichen Produkts werden am Ende zig Varianten entstehen – jede Bank und jeder Versicherer wird ein eigenes ,Standardprodukt‘ auflegen“, sagt Britta Langenberg, Versicherungsexpertin bei der Bürgerbewegung Finanzwende.

Verbraucherinnen und Verbraucher müssten sich erneut durch unzählige Angebote kämpfen. „Diese Angebotsflut schafft keine Klarheit“, sagt Langenberg. Die Produktlandschaft bleibe weiter unübersichtlich und kompliziert.

Ich sehe trotz einzelner Verbesserungen keinen echten Systemwechsel.

Britta Langenberg, Versicherungsexpertin bei der Bürgerbewegung Finanzwende

Langenberg und andere Verbraucherschützer sprechen sich für ein staatlich organisiertes Standardprodukt aus. Verwaltet werden könnte es aus Sicht der Verbraucherzentrale von der Bundesbank oder einem Konsortium privater Anbieter. Zugang könnte man über die Krankenkasse oder den Arbeitgeber bekommen.


2 Kostendeckel von 1,5 Prozent – geht das nicht günstiger?

Dadurch würde das Vorsorgeprodukt zudem günstiger, weil Banken und Versicherungen es nicht mehr vertreiben müssten. Die effektiven Kosten könnten laut Verbraucherzentrale so auf 0,5 Prozent sinken. Der Sozialverband verweist gar auf den schwedischen Staatsfonds mit laufenden Kosten von 0,1 Prozent.

Klingbeil hat bisher einen Kostendeckel von 1,5 Prozent angesetzt – zumindest für das Standardprodukt. Heißt: Die jährliche Rendite darf nur noch um maximal diesen Betrag sinken. Der Grund: Bei vielen Riester-Sparern haben die hohen Kosten die ohnehin niedrige Rendite aufgefressen.

Beim Bankenverband sieht man das kritisch. „Ein solcher Eingriff des Staates in den Wettbewerb ist weder erforderlich noch verhältnismäßig“, heißt es dort.

Versicherungsexpertin Langenberg kritisiert dagegen, dass der Kostendeckel nur für das Standardprodukt gilt. „Ich bezweifle, dass Vertriebsleute ihr Standardprodukt ins Schaufenster stellen, wenn sich mit anderen Angeboten viel mehr verdienen lässt“, sagt sie dem Tagesspiegel.


3 Ein Angebot für wirklich alle Bevölkerungsgruppen?

Erklärtes Ziel von Klingbeils Reform ist, ein Angebot zur Sicherung des Lebensstandards „für breite Bevölkerungsgruppen zu schaffen“. Doch die staatliche Förderung ist im Kern nur auf Beschäftigte und Beamte beschränkt. Banken- und Arbeitgeberverbände fordern, den Kreis auf alle Bürgerinnen und Bürger auszuweiten.

„Es gibt keinen überzeugenden Grund, einzelne Gruppen, etwa Angehörige der freien Berufe oder Selbstständige, von der Förderung auszuschließen, die sie zudem auch mit ihren Steuern mitfinanzieren müssen“, kritisiert die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA). Gerade für Selbstständige sei der Aufbau einer kapitalgedeckten Vorsorge noch wichtiger, weil sie im Alter häufiger auf Grundsicherung angewiesen seien.


4 Förderfähige Sparbeträge: Sind sie zu niedrig angesetzt?

Begrüßt wird die geplante Vereinfachung der staatlichen Förderung. Statt starrer Zulagen, die unter Umständen jährlich beantragt werden müssen, soll sie künftig proportional zu den gesparten Beiträgen erfolgen.

Förderfähig sollen eigene Sparbeiträge bis zu 1800 Euro im Jahr sein, für die man bis zu 480 Euro Förderung erhält (ohne Kinder- und weitere Sonderzulagen).

Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) schwebten damals förderungsfähige Eigenbeträge von 3000 Euro vor. Der Bankenverband fordert nun eine Grenze von 3500 Euro sowie eine jährliche Anpassung an die Inflation. Die Arbeitgeber wollen eine Kopplung an die Beitragsbemessungsgrenze, was auf über 4000 Euro hinauslaufen würde. Andernfalls würde die Förderung schrittweise entwertet.


5 Auszahlung flexibel bis zum 85. Lebensjahr – ergibt das Sinn?

Klingbeil plant zudem mehr Flexibilität in der Auszahlungsphase. So soll etwa die starre Verrentungspflicht wegfallen. Heißt: Statt einer verpflichtenden lebenslangen Rente (wie bei Riester) sollen sich Rentner künftig auch für eine frühere Auszahlung entscheiden können. Die soll aber mit dem 85. Lebensjahr enden können. Aus Sicht mehrerer Verbände ist das zu früh.

„Der Entwurf benachteiligt älter werdende Menschen und vor allem Frauen“, sagt Moritz Schumann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen, die älter als 85 sind, zwei Drittel davon sind Frauen. „Wer Altersvorsorge ernst meint, muss die Grenze mindestens auf 90 Jahre anheben“, sagte Schumann dem Tagesspiegel. Auch die Deutsche Aktuarvereinigung sowie die Arbeitgeber sehen dadurch das Risiko einer Unterversorgung im Alter.

Beim GDV wünscht man sich zudem mehr Flexibilität. „Auch in der Auszahlungsphase sollten Rentnerinnen und Rentner selbst bestimmen dürfen, wie viel Risiko sie eingehen wollen“, sagt Schumann. Nach dem derzeitigen Entwurf darf mit dem Erreichen dieser Phase nur maximal ein Fünftel des angesparten Kapitals auf eigene Rechnung und Risiko angelegt werden.

„Doch wer mit 65 noch viele Jahre vor sich hat, sollte die Chance auf mehr Rendite durch mehr Risiko nutzen können – wenn er oder sie das möchte“, sagt der GDV-Vertreter.


6 Ist der Wechsel für Riester-Kunden zu teuer?

Für die 15 Millionen Riester-Kunden eröffnen sich mit der neuen privaten Altersvorsorge verschiedene Optionen. „Bestandsverträge können mit bisheriger Förderung weitergeführt werden, auch ein Wechsel in die neue Förderung durch Erklärung gegenüber dem Anbieter ist möglich“, heißt es in Klingbeils Entwurf. Zwar wird diese Flexibilität in der Branche begrüßt. Doch die Wechselkosten sind aus Sicht einiger zu hoch.

„Um einen Vertragswechsel für Verbraucher attraktiver zu machen, sollte die Möglichkeit entfallen, nochmals Abschluss- und Vertriebskosten auf die Hälfte des Vorsorgevermögens zu erheben“, fordert etwa der Bundesverband der Verbraucherzentrale.

Bei den Versicherern sieht man das ähnlich. „Es ist gut, dass Menschen aus der Riester-Förderung in Produkte mit neuer Förderung wechseln können“, sagt GDV-Vizechef Moritz Schumann. „Doch Riester-Kundinnen und -Kunden sollten in diesem Fall nicht die Hälfte, sondern gar keine Abschlusskosten zahlen.“

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