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„Koalition will Sparen um jeden Preis vermeiden“: Ökonomen kritisieren Klingbeils Überlegungen für den Haushalt
Einem Bericht zufolge erwägt Finanzminister Lars Klingbeil auch Zinskosten für Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen. Die Idee ist nicht nur politisch umstritten.
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Um den Jahreswechsel soll es so weit sein. Dann will Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) ein Gesamtpaket für die Schließung des Haushaltslochs vorlegen. Keine Maßnahme ist vom Tisch, wird der Vizekanzler nicht müde zu betonen. „Die Menschen wissen auch, dass sich was verändern muss, die sind nicht doof“, sagte er am Sonntagabend in der Sendung von Caren Miosga.
Tatsächlich ist der Handlungsbedarf enorm. Derzeit führt das Finanzministerium mit allen anderen Ressorts Gespräche, wie sich die Finanzierungslücke im Etat 2027 in Höhe von rund 34 Milliarden schließen ließe. Denkverbote für Klingbeils Beamte gibt es nicht. Auch vor kreativen Finanztricks schreckt man im Detlev-Rohwedder-Haus offenbar nicht zurück.
Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, ist eine Überlegung, auch Zinsaufwendungen für Kredite, mit denen Verteidigungsausgaben finanziert werden, von der Schuldenbremse auszunehmen. Nach Schätzungen des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft ließen sich im kommenden Jahr so 3,3 Milliarden einsparen, über die gesamte Legislatur gesehen rund 20 Milliarden Euro.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) soll den Vorschlag begrüßen. Zwischen beiden sei die Idee bereits diskutiert worden. Im Kanzleramt hingegen sehe man die Pläne kritisch.
Eine Sprecherin des Finanzministeriums teilte am Dienstag auf Nachfrage mit, sie könne den Bericht nicht bestätigen. „Im Bundeshaushalt werden die Zinsausgaben insgesamt im Einzelplan 32 (Bundesschuld) veranschlagt und nicht einzelnen Einzelplänen bzw. bestimmten Ausgabearten zugeordnet.“ Ob die Idee grundsätzlich vom Tisch sei, ließ man offen.
„Konsolidierungsdruck bleibt auf der Strecke“
Bei Ökonomen stießen die Pläne jedoch auf deutliche Ablehnung. „Mit einer soliden Finanzpolitik hat das nichts mehr zu tun“, sagte Lars Feld dem Tagesspiegel. Der Wirtschaftswissenschaftler war der persönliche Berater von Klingbeils Amtsvorgänger Christian Lindner (FDP). „Das Sondervermögen wird schon als Verschiebebahnhof gebraucht, nun will man auch noch die Bereichsausnahme für Ausgaben nutzen, die nichts mit Verteidigung zu tun haben.“
Nach den Grundgesetzänderungen im März kann der Bund in praktisch unbegrenzter Höhe Kredite für Verteidigungsausgaben machen. Darunter fallen allerdings nur Rüstungsausgaben, Hilfen für angegriffene Staaten sowie Ausgaben für den Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Nachrichtendienste und den Schutz der IT-Systeme.
Nur ein Prozent davon muss über den Kernhaushalt finanziert werden. Von dieser sogenannten Bereichsausnahme macht die Bundesregierung immer stärker Gebrauch. Im laufenden Jahr werden 32 Milliarden Euro an der Schuldenbremse vorbei mobilisiert, 2027 steigt der Betrag auf 64 Milliarden und 2029 auf 122 Milliarden.
Mit dem Anstieg der Verschuldung steigt allerdings auch die Zinslast. Wendet der Bund aktuell rund 30 Milliarden Euro für Zinszahlungen auf, sollen es 2029 schon 66 Milliarden Euro sein. Bisher werden diese ausschließlich aus Steuermitteln finanziert. Würde man das ändern, würde im Haushalt Geld für andere Zwecke frei.
„Wenn man mit solchen Tricks arbeitet, bleibt der Konsolidierungsdruck auf der Strecke“, kritisiert Feld. „Das Problem ist doch, dass diese Koalition um jeden Preis das Sparen vermeiden will.“ Aus seiner Sicht müsste Schwarz-Rot das kürzlich beschlossene Rentenpaket (Sicherung des Rentenniveaus, Mütterrente) sein lassen und die Subventionen für Finanzhilfen, insbesondere für Industriepolitik und Klimaschutz, kürzen.
Auch Florian Schuster-Johnson hält den Vorschlag für problematisch. „Kredite sollte man nutzen, um für mehr Wirtschaftswachstum zu sorgen, nicht für Zinszahlungen“, sagte der Ökonom vom Dezernat Zukunft dem Tagesspiegel.
Allerdings hält er die Idee angesichts der angespannten Haushaltslage für politisch nachvollziehbar. „Wir haben eine Haushaltslücke, die es in dieser Größenordnung noch nicht gegeben hat.“ Über die gesamte Legislatur gesehen beträgt sie 172 Milliarden Euro. „Es wäre zumindest ein kleiner Beitrag, um sie in den Griff zu bekommen“, sagt Schuster-Johnson.
Finanzpolitischen Handlungsbedarf sieht jedoch auch er in anderen Bereichen. „Statt auf Wahlgeschenke wie die Gastro-Steuersenkung oder immer weiter steigende Strompreissubventionen zu setzen, sollte der Haushalt auf Wachstum und Jobs, die sich langfristig selbst tragen, ausgerichtet werden.“ Ziel müsse sein, möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen, Innovationen zu fördern und mehr für Schulen und Kitas zu tun.
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