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Sören Pellmann, Linke-Fraktionschef.

© IMAGO/Achille Abboud/IMAGO/Achille Abboud

„Krankheit ist in der Politik ein Tabu“: Linke-Fraktionschef Pellmann fordert nach Herzinfarkt offeneren Umgang mit Stress

Im Juli hat der Linke-Fraktionschef einen Herzinfarkt erlitten. Nun spricht Sören Pellmann über Stress und Belastung in der Politik und mahnt einen anderen gesellschaftlichen Umgang damit an.

Stand:

Linke-Fraktionschef Sören Pellmann mahnt nach einem Herzinfarkt einen offeneren gesellschaftlichen Umgang mit Stress und Belastung in der Politik an. „Krankheit ist in der Politik wie in der Gesellschaft ein Tabu, ob psychisch oder organisch, Abhängigkeit erst recht“, sagte Pellmann in einem Interview mit der „Welt“. Viele Abgeordnete dächten, das betreffe sie nicht.

Dabei sei man in der Politik Risikofaktoren ausgesetzt, etwa einer „ungesunden, unregelmäßigen Ernährung, zu wenig Bewegung und Stress“. Während der Sitzungswochen des Bundestages kämen „locker zehn, elf, zwölf Termine am Tag“ zusammen. Pausen oder eine Auszeit gebe es nicht. „Man hetzt von Gespräch zu Termin zur Rede im Parlament“, sagt der 48-Jährige. Und durch soziale Medien sei überdies das Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen, gestiegen.

Hinzu komme, dass Alkohol allgegenwärtig sei. Der verstärke die Gefahr, dauerhaft gestresst zu sein, man fühle sich öffentlich beobachtet, beklagt Pellmann. In Sitzungswochen sei es gang und gäbe, von Empfang zu Empfang zu ziehen und Wein oder Bier zu trinken.

„Wenn man bei Abendempfängen ein Glas Wasser oder Saft trinkt, heißt es schnell: Der ist eine Spaßbremse. Oder: Der hat ein Problem mit Alkohol“, sagt der Linke-Politiker. Er geht von einer hohen Dunkelziffer an Politikern aus, die eine Abhängigkeit entwickeln.

Pellmann hatte nach eigenen Angaben im Juli nach Fraktionsterminen in Nordrhein-Westfalen einen Herzinfarkt erlitten. Im Hotel habe er Druck in der Brust gespürt. Seine Smartwatch habe einen Puls von 159 angezeigt. „Keine Stunde nach meiner Ankunft in der Klinik lag ich auf der Intensivstation und war schon operiert.“

Über einen Katheter sei ihm ein Stent in eine Arterie gesetzt worden. „Das war krass“, beschrieb der Bundestagsabgeordnete der „Welt“ den Zwischenfall. „Hätte ich die Anzeichen nicht ernst genommen, hätte ich die Nacht wohl nicht überlebt.“

Er habe seitdem mehr Sport gemacht, sich gesünder ernährt und dadurch 22 Kilogramm an Gewicht abgenommen. Zum Oktober kehrte der Linken-Fraktionschef wieder in den Politikbetrieb zurück. 

Pellmann sagt, er habe lange überlegt, ob er öffentlich über seinen Herzinfarkt spreche. „Im Büro gab es andere Meinungen: Du zeigst damit Schwäche, du wirkst nicht belastbar, der politische Gegner könnte das ausnutzen“, wird der Politiker zitiert. Er habe jedoch hauptsächlich Zuspruch und Genesungswünsche bekommen. „Manche wollen sogar Abnehmtipps.“

Zuletzt hatte sich unter anderen der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert aus gesundheitlichen Gründen aus der Spitzenpolitik zurückgezogen. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth hatte zwischenzeitlich der Politik deshalb den Rücken gekehrt. (Tsp, cz, dpa)

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