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Die Krawalle in der Rigaer Straße reißen weiterhin nicht ab.

© AFP/John Macdougall

Krawalle in der Rigaer Straße: Ein Freiraum ist die „Rigaer94“ heute nur noch für Gewalttäter

Lethargie ist keine Politik: Berlins Senat muss endlich eine Lösung herbeiführen, bevor in noch mehr Köpfen das Rechtsstaatsverständnis erodiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Nein, es darf keine Toleranz für diese Gewalt geben, kein Zaudern. Die Linksextremisten aus der Rigaer Straße haben laut Polizei mindestens 82 Beamte zumindest leicht verletzt, zwei schwer - wegen einer Brandschutzprüfung. Sie zündeten Barrikaden an, warfen Steine von Dächern.

Das ist kein folkloriges „Katz-und-Maus-Spiel“, wie es so oft heißt, sondern potenziell tödlich. Oft wird dann mit der Schulter gezuckt: War halt immer so, wa! Mainzer Straße damals war schlimmer! Kikifax! Aber was bedeutet diese Gewalt konkret?

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Eine nahe Kita bat Eltern am Mittwoch, mitten am Tag, ihre Kinder sofort abzuholen – sie fürchtete die Evakuierung. Eine Grundschule in der Straße wurde aus Sicherheitsgründen gleich bis Ende der Woche geschlossen. Für viele Nachbarn ist das tatsächlich: Kikifax.

Sie kennen Einschüchterung und Bedrohung seit Jahren. Kennen Kiezgerichte, wenn sie Polizei und Feuerwehr alarmieren, Drohschreiben im Postkasten. Feuerwehrleute werden angegriffen, wenn sie angezündete Autos löschen wollen.

Allein im vergangenen Jahr gab es 157 Ermittlungsverfahren wegen Angriffen, Bedrohungen und Beleidigungen gegen Polizisten. 85 Ermittlungsverfahren laufen wegen Sachbeschädigungen. Das ist alles weder zumutbar, noch entschuldbar.

Es ist ein zynischer Kleinkrieg, der einen ideologischen Nullpunkt erreicht hat. Er richtet sich nicht, wie so oft von linker Seite behauptet, gegen „das System“ oder „das Kapitel“, er richtet sich ganz konkret gegen Menschen, gegen Einzelpersonen, die terrorisiert und angegriffen werden.

Im linksgrünen Milieu gibt es Sympathisanten

Viele Linke schmähen die Empörung darüber oft als kleinlich: Was ist der Kopf eines Polizisten gegen „die Ungerechtigkeit des Systems“? So wissen die Bewohner der „Rigaer94“ einen Teil der Stadtgesellschaft auf ihrer Seite, insbesondere im linken und grünen Milieu. Dort wird die Gewalt als Folklore abgetan, als „Kampf für Freiräume“.

Der grüne Bezirksstadtrat Florian Schmidt versucht seit Monaten, eine ordentliche Brandschutzprüfung, nur darum geht es, abzuwenden, verhandelt mit Anwälten der Bewohner direkt. Linke und Grüne schafften es am Mittwoch erst nach Stunden, sich klar gegen die Gewalt zu positionieren.

Nein, es wäre unredlich, beiden Parteien zu unterstellen, sie hätten in der Breite Sympathien für die Gewalt. Es scheint aber, als hätten sich viele Politiker damit abgefunden, dass es irgendwie so weiterläuft. Diese Lethargie ist nicht nur fatal, sie ist apolitisch.

[Lesen Sie auch: Tür-Klau im Berliner Besetzerkiez? Das Geheimnis um die Haustür in der Rigaer Straße 94 (T+)]

Der rot-rot-grüne Senat muss endlich eine Lösung herbeiführen, bevor in noch mehr Köpfen das Rechtsstaatsverständnis erodiert – und sich die Menschen den rechten Populisten zu wenden.

Ein Abriss des Hauses ist nicht die Lösung, keine Stürmung unter einem Vorwand – in unserem Rechtsstaat gelten die Grundrechte auch für all jene, die die aller anderen mit Füßen treten. Nicht alle Wohnungen im Haus sind tatsächlich besetzt, die Hintergründe der Eigentümer sind noch immer nicht komplett offengelegt.

Seit Jahren wird im Senat über einen Kauf des Hauses geredet, verhandelt, spekuliert. Bislang wurden die im Nebel liegenden Eigentumsverhältnisse als Grund angeführt, nicht zu kaufen. Dieser Nebel lichtet sich aber inzwischen. Es ist jetzt eine Frage des politischen Willens: Soll diese Gewalt weiter geduldet werden, oder nicht? Daran werden alle drei Regierungsparteien am Wahltag gemessen werden. Es mag einmal anders gewesen sein, aber ein Freiraum ist die „Rigaer94“ heute nur noch für Gewalttäter.

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