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Daniel Ortega – hier mit seiner Ehefrau, der Vizepräsidentin Rosario Murillo – spricht in Managua zu Anhängern.

© Marvin Recinos/AFP

Krise in Nicaragua: Präsident Ortega klammert sich an die Macht

Trotz aller Proteste lehnt der Staatschef Nicaraguas Neuwahlen ab. Er macht die Opposition für die Krise des Landes verantwortlich und wirft Hunderte ins Gefängnis.

Lesther Aleman ist entrüstet. Gerade hat ihn der Präsident seines Landes Nicaragua im Fernsehen einen Terroristen genannt. Der Student wurde im April berühmt, als er nach den landesweiten Protesten Staatschef Daniel Ortega (72) öffentlich vorwarf, Demonstranten zu massakrieren. Seither lebt Aleman im Untergrund, auf der Flucht vor den Schergen Ortegas.

Der stand einst selbst auf der anderen Seite der Barrikaden, als er 1979 an der Spitze der linken, Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) Diktator Anastasio Somoza stürzte, der letzte eines seit den 30-er Jahren herrschenden Clans. Inzwischen ist Ortega seit elf Jahren an der Macht.

„Er hat Nicaragua in ein Blutbad verwandelt“

Am Montag erklärt er starrsinnig gegenüber CNN, die Gewalt gehe von Oppositionellen aus und werde von rechten Unternehmern und den USA finanziert. Dann spricht der CNN-Moderator mit Aleman. Das seien die üblichen Verleumdungen, sagt er aus seinem Versteck heraus per Skype. „Ortega klammert sich an die Macht, nichts anderes ist von ihm zu erwarten. Er hat Nicaragua in ein Blutbad verwandelt.“

Studenten aus dem gesamten Land demonstrierten am Donnerstag (Ortszeit) gegen Ortega.
Studenten aus dem gesamten Land demonstrierten am Donnerstag (Ortszeit) gegen Ortega.

© Marvin Recinos/AFP

Entzündet hatte sich die Krise im April an einem Dekret Ortegas, mit dem er die Renten um fünf Prozent kürzte und die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer- und geber anhob. Nötig wurde dies nach dem Kollaps des sozialistischen Bruderlandes Venezuela. Die billigen Kredite und Erdöllieferungen von dort waren versickert. Kritiker werfen der Regierung vor, die Rentenkasse geplündert zu haben.

Der Unmut über den Ortega-Clan brodelt schon länger

Der Unmut über den autoritären Regierungsstil des sich bereichernden Ortega Clans, einhergehend mit Wahlbetrug und Internet-Zensur, brodelte schon länger. Die Proteste wurden von Polizei und bewaffneten, paramilitärischen Stoßtrupps brutal unterdrückt. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen kamen dabei mehr als 400 Menschen ums Leben, die Interamerikanische Menschenrechtskommission dokumentierte 295 Todesfälle, die Regierung gibt 195 zu.

Der Konflikt hat das Land mit seinen 6,1 Millionen Einwohnern in eine schwere Krise gestürzt. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Polizei und Schlägertruppen haben in den vergangenen Tagen die Barrikaden geräumt und hunderte Demonstranten ins Gefängnis gesteckt.

Ortega diskreditierte die Kirche als Vermittlerin. Vorgezogene Neuwahlen lehnte er in dem CNN-Interview ab, ebenso ein Referendum über seinen Amtsverbleib. Ob es ihm nichts ausmache, dass das Land in Trümmern liege und er Diktator genannt werde, wollte der Interviewer wissen. Nein, sagte Ortega achselzuckend. Er sei daran gewöhnt, und die Wirtschaft erhole sich schon.

Carlos Fernando Chamorro, Direktor des unabhängigen Medienportals El Confidencial, will die Hoffnung auf eine Demokratisierung aber noch nicht aufgeben. „Militärisch hat Ortega eine Schlacht gewonnen, aber die politische hat er verloren“, schreibt er. „Die Bevölkerung fürchtet ihn nicht mehr und fordert, dass er vor ein internationales Gericht gestellt wird.“

Chamorro schließt nicht aus, dass die Repressalien gegen die Kirche, die Festnahmen und die Beschlagnahme von Privatbesitz durch sandinistische Stoßtrupps Taktik sind – eine Art Faustpfand, mit der Ortega für sich und seinen Clan eine Amnestie aushandeln will.

Derzeit erinnert die Situation an Venezuela, wo es dem sozialistischen Machthaber Nicolas Maduro mit einer ähnlichen Taktik – darunter die systematische Spaltung und Ausschaltung der politischen Opposition – gelang, trotz Wirtschaftskrise und massiven Protesten an der Macht zu bleiben.

Der 72-Jährige scheint Maduro nacheifern zu wollen

Ortega scheint ihm nachzueifern und hat die Unterstützung Kubas und Russlands. Seine Chancen stehen jedoch ungleich schlechter. Nicaragua ist im Gegensatz zum Erdölland Venezuela bitterarm: Und der Pakt mit den Unternehmern, die dem Regime bislang Stabilität und Wirtschaftswachstum sicherte, ist zerbrochen.

Ausländische Sanktionen haben Ortega isoliert, intern hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Sogar sein Bruder, der langjährige Herrscher Humberto Ortega, fordert Neuwahlen. Die Streitkräfte blieben im Machtkampf bislang neutral. Ängste lösen aber die Paramilitärs aus. Schwer bewaffnet und ohne klare Struktur, könnten sie zum Kern einer marodierenden Söldnertruppe, Verbrecher- oder Drogenbande werden. Das würde nicht nur die regionale Stabilität bedrohen, sondern wäre dann auch eine Gefahr für Ortega.

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