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Donatella Rovera von Amnesty International im Mai in Kiew.

© Anadolu Agency/Getty Images/Dogukan Keskinkilic

Kritik an Amnesty-Bericht reißt nicht ab: Die seltsame Rolle der Chef-Krisenberaterin Donatella Rovera

Die Arbeit des Forscher-Teams von Amnesty zum Ukraine-Krieg hat massive Kritik ausgelöst. Besonders im Fokus steht dabei die Chef-Autorin.

Für den Militär-Experten Thomas Reisner war klar, was die russische Seite mit dem hochumstrittenen Amnesty-International-Bericht anstellen würde. Der Report über den vermeintlichen Missbrauch ziviler Einrichtungen durch die Ukraine sei ein Geschenk für die Propagandamaschine des Kremls „und wird im Ringen um die Informationshoheit in diesem Krieg natürlich ausgenutzt“, sagte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

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Vergangenen Freitag twitterte die russische Delegation bei den Vereinten Nationen (UN) dann prompt, man sollte bei Bildern von zerstörten Krankenhäusern und Schulen doch immer zunächst die Frage stellen, „wer sich darin aufhielt?“

Dass der Bericht mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht ein ungenaues Bild der ukrainischen Kriegstaktik und die Rolle von Zivilisten darin zeichnet, darüber sind sich Experten einig. Auch der Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg beschrieb die Arbeit von Amnesty gegenüber dem Tagesspiegel als „sehr undifferenziert verfasst“.

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Im Grunde genommen wirft die Organisation der Ukraine in mehreren Fällen vor, nicht genügend oder gar nichts unternommen zu haben, Zivilisten zu schützen und zivile Einrichtungen für militärische Zwecke genutzt zu haben.

Die militärischen Konsequenzen – die ukrainischen Truppen wären in einem offenem Feldkampf schlicht überrannt worden – wurden ebenso außer Acht gelassen wie die dazugehörige völkerrechtliche Passage. Denn beim Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall werden „militärische Erwägungen“ dort gleichermaßen berücksichtigt.

Harsche Kritik an Chef-Forscherin Donatella Rovera

Neben den inhaltlichen Schwächen des Berichts werden auch zunehmend Fragen an den Autoren und ihrem Vorgehen laut. Allen voran an der Amnesty-Chef-Krisenberaterin Donatella Rovera.

Der Journalist Tom Mutsch beschreibt in einem aktuellen Artikel der britischen Zeitung „Byline Times“ seine Erlebnisse mit Rovera im Vorfeld der Veröffentlichung an der Frontlinie in einem Hotel in Kramatorsk.

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In einer Diskussion mit ihr sei es genau um die Rolle von Zivilisten in der ukrainischen Kriegsführung gegangen. Bereits damals wies Misch auf die Probleme in Roveras Argumentation hin, doch wie im aktuellen Report fiel die Antwort einseitig aus.

„Nun, sie (die Ukraine) müssen es so weit wie möglich vermeiden, in bewohntem Gebiet Stellung zu beziehen“, zitiert Misch die Forscherin. „Das humanitäre Völkerrecht ist da sehr eindeutig“, soll Rovera weiter ausgeführt haben.

Nach Eindruck Mischs hatte sich das Forscherteam bereits zu diesem Zeitpunkt seine Meinung gebildet – die schiere Verteidigung der Städte als völkerrechtswidrige Gefährdung der Bevölkerung zu interpretieren. Darüber hinaus wirft der Journalist dem Amnesty-Forscherteam vor, es zumindest in einem Fall mit der Wahrheit nicht so genau genommen zu haben.

Gab es Evakuierungsversuche oder nicht?

Amnesty International sei „nicht bekannt, dass das ukrainische Militär in zivilen Gebieten, die Zivilbevölkerung angewiesen oder ihr geholfen hätte, die umliegenden Gebäude zu evakuieren", heißt es an einer Stelle der Berichts.

Misch jedoch berichtet, er selbst habe erlebt, wie die ukrainischen Truppen den Bewohnern rund um eine Schule Lysychansk angeboten hätten, sie mit Bussen aus der Gefahrenzone zu bringen.

Mehr zum Krieg in der Ukraine bei Tagesspiegel Plus:

Dabei soll es sich um denselben Ort gehandelt haben, der auch im Bericht als Negativbeispiel für die Praktiken der ukrainischen Soldaten genannt wird. Und auch andere Kriegsreporter äußeren ihren Unmut über das Vorgehen und die Ergebnisse der Organisation.

Erst kontaktiert Rovera einen Kriegsreporter – dann ist sie nicht mehr erreichbar

Der italienische Kriegsreporter Cristiano Tinazzi bestätigte gegenüber dem Tagesspiegel, Rovera habe ihn am 7. Juni kontaktiert, um mit ihm über seine Erlebnisse von der Front zu sprechen – auf seine mehrfache Antwort dann jedoch nicht mehr reagiert. Warum weiß er bis heute nicht. Tinazzi befand sich damals im Juni nahe der südlich gelegenen Stadt Mykolajiw.

Seine Erfahrungen decken sich nicht mit den Amnesty-Beobachtungen. Zwar seien ukrainische Soldaten gezwungenermaßen in zivilen Unterkünften untergekommen, Artilleriegeschosse in dichtbesiedelte Gegenden habe er hingegen nicht beobachtet. Stattdessen fanden nach seinen Angaben durchaus Evakuierungsversuche in den von ihm besuchten Städten statt.

Amnesty-Analyse fällt mit vier Einzelfällen pauschales Urteil

Tinazzis Beispiel offenbart eine weitere große Schwäche der Amnesty-Analyse: Vier Einzelfälle werden dazu verwendet, um der ukrainischen Kriegsführung pauschal die Gefährdung von Zivilisten zu unterstellen. In einer Zeit, in der die russischen Truppen ukrainische Städte in Kriegszonen verwandeln.

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Für den englischen Kriegs-Journalisten Neil Hauer kommt die neue Entgleisung Roveras alles andere als überraschend. Er verweist auf eine ähnlich kontroverse Arbeit der Forscherin über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan in Bergkarabach im Jahr 2020. Wie im aktuellen Fall fiel Rovera durch ihre unausgewogene Lagebeschreibung auf. Hauer beschreibt ihre Arbeit von damals gar als „bullshit“.

Rovera tritt in umstrittener CBS-Dokumentation auf

Während sich Reporter und Experten noch über die aktuelle Arbeit Roveras echauffieren, ist diese bereits selbst Teil der nächsten Kontroverse. Der amerikanische Sender CBS veröffentlichte jüngst eine Dokumentation, der zufolge nur 30 Prozent der westlichen Waffen die Front in der Ukraine erreichen sollen.

Wie sich herausstelle, wurde die entsprechende Quelle in der Dokumentation, ein Lieferant für nicht-tödliche militärische Güter, missinterpretiert. Der Sender ruderte zurück und kündigte eine neue Version der Dokumentation an. Das brisante Zitat wurde letztendlich aus dem Beitrag geschnitten.

Im Film hat auch Rovera ihren Auftritt. „Es gibt keine Möglichkeit für uns nachzuvollziehen, wohin diese Waffen gehen“, sagt sie in durchaus dramatischem Ton. Angesichts der militärischen Brisanz der Waffenlieferungen eine Binse. Kaum ein Geheimnis dürfte in diesem Konflikt besser gehütet sein.

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