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Sind Kieferkorrekturen immer nötig?

© Kitty Kleist-Heinrich

Kritik des Bundesrechnungshofes: Milliarden für Kieferorthopädie - aber wie sinnvoll sind die Ausgaben?

Jedes Jahr geben die Krankenkassen gut eine Milliarde Euro für kieferorthopädische Behandlungen aus. Der Bundesrechnungshof verlangt vom Gesundheitsministerium, deren Nutzen wissenschaftlich klären zu lassen.

Mehr als eine Milliarde Euro wenden die Krankenkassen jedes Jahr für kieferorthopädische Behandlungen auf. Der Bundesrechnungshof prangert nun an, dass das Geld fließt, obwohl das Bundesgesundheitsministerium und auch die Kassen selbst gar keine fundierten Erkenntnisse über Wirkung und Nutzen solcher Behandlungen haben. Rechnungshofpräsident Kay Scheller fordert daher eine „Versorgungsforschung“ ein, um zu klären, ob diese Ausgaben der Kassen überhaupt notwendig sind und welche Leistungen auch zu Behandlungserfolgen führten. „In anderen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung muss der Nutzen einer Therapie wissenschaftlich bestätigt sein“, moniert Scheller. „Das sollte auch bei kieferorthopädischen Behandlungen der Fall sein.“ Der Bundesrechnungshof ist auch für die Krankenkassen als Kontrollbehörde zuständig.

Jedes zweite Kind betroffen

Der Rechnungshof wirft dem Bundesgesundheitsministerium vor, dem Missstand seit Jahren nicht nachzugehen. Ministerium und Kassen sollten jedoch die Versorgungslage, die Behandlungsnotwendigkeiten und Behandlungsziele sowie die Qualitätskontrollen wissenschaftlich untersuchen. Auch Selbstzahlerleistungen, ebenfalls ein Milliardenmarkt, sollten einbezogen werden. Laut Rechnungshof haben sich die Kosten der Behandlungen in der Kieferorthopädie zwischen 2008 und 2016 fast verdoppelt. Mittlerweile bekommt, nach Zahlen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, fast die Hälfte der Jungen und Mädchen in Deutschland eine Zahnspange oder eine andere Kieferkorrektur verpasst. Die Behandlungsdauer: zwei bis vier Jahre.

"Zweckmäßig und wirtschaftlich"

Laut Bundesrechnungshof müssen Kassenleistungen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein“. Ob das bei den Zahnkorrekturen und Kieferbehandlungen durchgehend der Fall ist, daran zweifelt die Behörde. Ein Anspruch auf Behandlung bestehe nur, wenn eine Fehlstellung krankhafter Art sei und das Kauen, Beißen, Sprechen und Atmen behindere. Bei Prüfungen habe ich gezeigt, dass das Ministerium und die Kassen kaum einen Einblick hätten, mit welchen orthopädischen Leistungen Patienten versorgt würden. Eine bundesweite Datensammlung bei den Ärzten habe das Ministerium 2012 verhindert. Zu den langfristigen Wirkungen der Behandlungen gebe es keine Studien. Das gelte auch für die Angebote, die Ärzte über die Kassenleistungen hinaus anbieten. Der Rechnungshof stellt dazu fest: „Versicherte können sich derzeit nicht allgemein verständlich und wissenschaftlich gesichert über kieferorthopädische Selbstzahlerleistungen informieren.“ Das Ministerium verweist auf „methodische Schwierigkeiten“ und will an den geltenden Regeln festhalten: „Andernfalls wäre der Zugang zu kieferorthopädischen Leistungen stark vom Einkommen der Versicherten oder ihrer Sorgeberechtigten abhängig“, teilte ein Sprecher mit.

Zu wenig Haftungsschutz bei Ärzten?

Noch ein zweites mögliches Versäumnis des Bundesgesundheitsministeriums stört den Rechnungshof: Nicht alle Kassenärzte haben offenbar einen genügenden Haftpflichtschutz für den Fall, das ihnen Behandlungsfehler unterlaufen. Die Prüfer fordern daher, dass bundesgesetzlich geregelt wird, Ärzten nur noch eine Kassenzulassung zu geben, wenn eine entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen ist. „Der Patient muss geschützt sein“, sagt Scheller. „Bei einem Behandlungsfehler darf er nicht auf seinen Kosten sitzen bleiben.“ Wenn Mediziner keinen ausreichenden Schutz haben, können Patienten oder Krankenkassen ihre Schadenersatzansprüche nicht vollständig durchsetzen. Bisher ist der Nachweis einer Versicherung nicht bindend, einige Landesgesetze schreiben nur vor, dass der Nachweis auf Verklangen der Kammern erfolgen muss. Der Rechnungshof will nun eine Bundeslösung analog zu anderen freien Berufen – dass nämlich eine Zulassung nur erfolgen darf, wenn der Nachweis vorliegt und regelmäßig erneuert wird. Der Kontrollbehörde fiel bei Untersuchungen auf, dass in Fällen von Behandlungsfehlern Ärzte bisweilen keinen oder einen zu geringen Haftpflichtschutz haben. Der ist zwar in nahezu allen Landesgesetzen und auch Berufsordnungen vorgesehen, jedoch gibt es keine flächendeckende Nachweispflicht. Und regelmäßige Kontrollen der Ärztekammern sind ebenfalls nicht vorgeschrieben. Rechtsanwälte zum Beispiel bekommen ihre staatliche Zulassung nur, wenn sie eine genügende Haftpflichtversicherung vorlegen können. Das Bundesgesundheitsministerium sieht, wie aus dem neuen Rechnungshofbericht hervorgeht, allerdings vor allem die Länder in der Pflicht, die Vorschrift zu kontrollieren. Der Rechnungshof sieht hier jedoch Defizite – unter anderem, weil oft unentdeckt bleibe, wenn eine Versicherung gekündigt werde.

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