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Andrea Nahles während ihrer Bewerbungsrede beim Außerordentlichen Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

© Boris Roessler/dpa

Andrea Nahles: Laut, breitbeinig, Frau

"Sei leiser", Stimme "wie eine Kreissäge": In den Texten über die neue SPD-Chefin Andrea Nahles zeigt sich das Dilemma im Kampf gegen Stereotype. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Ist das eigentlich ein Jubeltag für Frauen in der Politik? Ein weiterer Etappensieg auf dem Weg zur paritätischen Macht? Seit Sonntag steht mit Andrea Nahles erstmals eine Frau an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands. Und wie immer, wenn eine von diesen Ersten irgendwo Erste wird, weiß man nicht so recht, ob man lachen oder heulen soll – und ob man das überhaupt betonen sollte.

Lachen, weil das natürlich großartig ist. Endlich! Hat ja auch nur knapp 155 Jahre gedauert. Heulen, weil man eigentlich keine Lust mehr darauf hat, diesen Unterschied zu machen. Da hat einfach eine fähige Politikerin übernommen. Ihr Ergebnis zeigt die Zerrissenheit ihrer Partei. Die Herausforderung ist groß. Punkt. Damit sollte man es im Jahr 2018 bewenden lassen dürfen. Oder?

Das Dilemma des Feminismus: Betont man das Frau-Sein, verstärkt man die Kategorisierung

Die Frage, ob und wie man Erfolge von Vertretern diskriminierter Gruppen hervorhebt, ist ein grundlegendes Dilemma aller Antidiskriminierungsbewegungen. Zu betonen, dass mit Andrea Nahles eine Frau an die Spitze gerückt ist, betont auch ihr Frau-Sein – und kategorisiert sie damit. Es reduziert sie auf ihr Geschlecht und lässt andere mögliche Beschreibungen ihrer Person zweitrangig erscheinen (Linke, Machtpolitikerin, Aufsteigerin und so weiter).

Erfolgreiche SPD-Frauen wie Schwesig, Barley etc. wurden und werden ebenfalls kritisiert, aber eben anders als Nahles. Die teilweise vernichtende Kritik kann also nicht allein an ihrer Weiblichkeit liegen. Auftreten und gesendete Botschaften spielen auch eine wichtige Rolle.

schreibt NutzerIn dragonfighter

Wird Andrea Nahles Charakter beschrieben, wird das Dilemma der Kategorisierung nur noch deutlicher. Andrea Nahles ist eine starke, machtorientierte, bullige Frau – Attribute, die in Männerstereotpyen eine tragende Rolle spielen. Schafft man erst eine vermeintliche „Nonkonformität“, wenn man Eigenschaften hervorhebt, die weiblichen Stereotypen nicht entsprechen? Im Fall von Andrea Nahles wird zum Beispiel stets ihre Breitbeinigkeit betont. In dieser Betonung scheint unterschwellig zu einem gewissen Grad die Überraschung manches Beobachters mitzuschwingen; das Gefühl, etwas Seltenes, Besonderes zu sehen. Die Grenze zwischen „ungewöhnlich“ (im Sinne von eher selten) und „nicht normal“ (im Sinne von „nicht der Norm entsprechend“) ist allerdings fließend. Andererseits zeigt die Beschreibung von Nahles als „breitbeinig“ die Vielfalt weiblicher Persönlichkeiten jenseits der Stereotype und durchbricht sie so. Und nach allem, was man so über sie weiß, ist es ja auch ein treffendes Sprachbild.

An Andrea Nahles wird stets die "Breitbeinigkeit" betont. Verstärkt oder schwächt das Stereotype?

Sicher ist: Frauen wie Andrea Nahles machen etwas mit Männern, immer noch. Sie lösen Reflexe aus, Kategorisierungen, manchmal kaum verhohlene Abwehr. Als Andrea Nahles auf dem SPD-Parteitag im Januar, der über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu entscheiden hatte, eine leidenschaftliche Rede hielt, schrieb ein Kommentator der „FAZ“: „Der einzige Mann in der SPD-Führung scheint Andrea Nahles zu sein.“ Alle anderen seien „zeternd“ und „zaudernd“. Warum das Stereotype verstärken könnte, sah er nicht ein. Dieses Mal war es die „Bild“-Zeitung, die ihre Reflexe nicht im Griff hatte. „Sei leiser, Andrea Nahles“, riet der Kolumnist Franz Josef Wagner der neuen SPD-Vorsitzenden. „Sie haben ein Organ wie eine Kreissäge.“ Nahles solle sich lieber am „Gezwitscher der Vögel“ orientieren.

Solange solche Texte erscheinen, bleibt einem wohl nichts anderes übrig, als immer wieder über das Frau-Sein zu schreiben.

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