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Lehre aus dem Rentenstreit: Dieser Kanzler muss sich neu erfinden
Am Ende ist es ein Sieg für Friedrich Merz. Aber er war hart erkämpft. Wenn er künftig erfolgreich sein will, muss er einen neuen Fokus setzen.

Stand:
Erdbewegungen waren um die Mittagszeit im Berliner Regierungsviertel zwar nicht messbar, aber spüren konnte man sie schon. Denn es dürfte eine Zentnerlast von den Schultern des Kanzlers geplumpst sein, als er das Ergebnis der Rentenabstimmung vernahm. Die Kanzlermehrheit zustande gebracht, das selbst gesteckte Ziel erreicht. Es gab schon schlechtere Tage in seiner kurzen Amtszeit.
Und doch sollte ihm dieses Ergebnis und der Weg dorthin eine Mahnung sein, eine abermalige. Denn gleich dreimal innerhalb von sieben Monaten konnte er sich der Mehrheit in den eigenen Reihen nicht sicher sein. Ein Fehlstart in seine Kanzlerschaft. Und daraus muss er Schlüsse ziehen.
Das müssen noch nicht einmal personelle Konsequenzen sein. Denn Unionsfraktionschef Jens Spahn hat sich durch die abgewendete Niederlage auch etwas Luft verschafft. Aber Friedrich Merz wäre gut beraten, sich als Kanzler darauf zu konzentrieren, wofür er in den Augen der Bürgerinnen und Bürger am meisten gebraucht wird.
Er wurde nicht in erster Linie für seinen Migrationskurs gewählt, wie jüngst eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung klar herausgearbeitet hat. Auch ein starkes außenpolitisches Profil zählt nicht zu den größten Erwartungen an ihn. Das alles mag eine Rolle gespielt haben. Aber der Hauptgrund, dass er es ins Kanzleramt geschafft hat, ist ein anderer: „It’s the economy, stupid.“ Es war das Versprechen, die Wirtschaft auf Kurs zu bringen und notwendige Sozialreformen umzusetzen; das hat ihn ins Amt getragen.
Merz muss den Fokus verschieben
Doch statt hier den Fokus zu setzen, hat Merz sich bisher darauf verlassen, dass er als Außenkanzler Glanz entwickeln und Zuspruch gewinnen kann. Natürlich ist die geopolitische Lage außerordentlich. Und dennoch wird Merz den Fokus in den nächsten Monaten verschieben und endlich als Kanzler mit innenpolitischem Fokus in Erscheinung treten müssen.
Deutschland benötigt wieder wirtschaftliche Stärke und Selbstbewusstsein. Etwas, was im Übrigen am Ende auch geopolitisch hilft. Denn dass Deutschland und die EU immer noch als schwach wahrgenommen werden, liegt nicht nur an der Zerstrittenheit und Vielstimmigkeit in Europa, sondern auch daran, dass das deutsche Geschäftsmodell der Vergangenheit angehört.
Billige Energie, Auto- und Stahlindustrie sowie hohe Exportquoten sind kein Zukunftsmodell mehr. Merz muss eine neue Erzählung für den Wirtschaftsstandort Deutschland liefern, neues Vertrauen in die eigene Stärke wecken und darüber wieder internationales Ansehen herstellen.
Merz kann keine großen Zugeständnisse an die SPD mehr machen
Es reicht jetzt nicht mehr aus, das alles vage anzukündigen oder vollmundig in Aussicht zu stellen. Er wird jetzt konkret liefern müssen: praktisch, aber auch in seiner eigenen Erzählung. Statt den Agenda-Moment zu kreieren zu Beginn der Kanzlerschaft, hat er eher die Methode Scholz gewählt und spiegelstrichartig auf das verwiesen, was im Detail schon erreicht wurde. Das aber genügt nicht für den großen Wurf, der von ihm nun mal erwartet wird.
Seine Kabinettsmitglieder werden die Arbeit nicht für ihn machen. Die eine, Katherina Reiche als Wirtschaftsministerin, kann das Thema nicht wirklich mit Kraft besetzen. Und die andere, Arbeitsministerin Bärbel Bas, hat als SPD-Chefin einen ganz anderen Plan. Sie steht eher für Klassenkampf als für wirtschaftlichen Aufbruch. Hier, bei Bürgergeld und grundlegender Rentenreform, drohen dem Kanzler die nächsten Konflikte. Allzu große Zugeständnisse wird er den Sozialdemokraten, auch das hat der Machtkampf gezeigt, nicht mehr machen können, wenn er den Rückhalt in der eigenen Partei nicht verlieren will.
Es steht viel auf dem Spiel, und zwar mehr als nur die Kanzlerschaft von Friedrich Merz. Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates, um die Existenz der Volksparteien der Mitte und um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Anders ausgedrückt: Es geht um Vertrauen in die Demokratie in Deutschland. Die Latte liegt hoch, die Koalition und ihr Kanzler haben sie selbst dorthin gelegt: Jetzt muss Friedrich Merz springen.
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