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Hier werden Lebenschancen verteilt: Schulkinder in ihrem Klassenraum.

© dpa/Christoph Soeder

Leistungen der Schulkinder sind abgesackt: So reagiert die Politik auf die IQB-Bildungsstudie

Deutschlands Schulkinder werden immer schlechter in Deutsch und Mathe. Was tun? Regierung und Opposition haben ganz unterschiedliche Vorstellungen.

Die Befunde sind deutschlandweit alarmierend, wenn auch von Bundesland zu Bundesland in unterschiedlichem Ausmaß: Die aktuellen Daten der IQB-Bildungsstudie zeigen erschreckende Lernlücken bei Schulkindern der vierten Klasse.

Der Anteil der Kinder, die die Mindeststandards verfehlen, ist auf ohnehin hohem Niveau noch einmal gestiegen. Die Ergebnisse finden Sie hier im Detail. Vorgestellt wurden sie am Montagmorgen in Berlin. Neben der Bildungsforscherin Petra Stanat als wissenschaftlicher Leiterin der Studie waren zwei Ministerinnen und ein Minister aus den Ländern beteiligt.

Karin Prien (CDU), Präsidentin der Kultusministerkonferenz, sagte dabei, die Ergebnisse seien „ernüchternd“. Bis 2011 sei man zumindest in einzelnen Bundesländern auf einem guten Weg gewesen, seitdem hingegen insgesamt deutlich zurückgefallen.

„Wir müssen massiv gegensteuern“, sagte Prien, die Bildungsministerin des Landes Schleswig-Holstein ist. Es brauche eine sorgfältige Analyse, sowohl auf Ebene der Kultusministerkonferenz als auch in den einzelnen Bundesländern.

Die Corona-Pandemie habe natürlich für die Ergebnisse eine große Rolle gespielt. „Aber wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir die Ergebnisse nur auf die Corona-Pandemie zurückführen würden.“

Prien nannte die frühkindliche Bildung vor dem Schuleintritt als wesentlichen Ansatzpunkt. Der Elementarbereich und die „Vorläuferfähigkeiten“, mit denen die Kinder in den Schulen ankommen, müssten stärker in den Blick genommen werden.

Ein Porträtbild von Karin Prien im Gespräch.
Karin Prien, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein und Präsidentin der Kultusministerkonferenz.

© imago images / Uwe Steinert

Auch wies sie darauf hin, die Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, seien insgesamt heterogener geworden. Dies sei eine „deutliche Herausforderung“ für Lehrkräfte. Sie kündigte an, die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz werde im Dezember ein Gutachten zur Weiterentwicklung der Grundschulen vorlegen. Sie sei sehr zuversichtlich, dass diese Expertise helfen werde, die richtigen Schritte zu gehen.

Ties Rabe (SPD), Schulsenator in Hamburg, forderte, im Schulsystem müsse es verstärkt wieder darum gehen, die Grundkompetenzen zu vermitteln. Er bekomme viele Briefe zu Themen von Cybermobbing bis zum Bioanteil im Schulessen, aber niemand wende sich an ihn mit der Aufforderung, dafür zu sorgen, dass die Kinder in Rechtschreibung oder Mathematik besser würden. Rabe forderte einen Mentalitätswandel und eine Rückbesinnung auf den Kern dessen, was es in der Schule zu vermitteln gebe.

Theresa Schopper (Grüne) war als dritte Vertreterin der KultusministerInnen bei der Vorstellung der Daten beteiligt, sie ist Kultusministerin in Baden-Württemberg. Sie schloss sich Priens Einschätzung an, die frühkindliche Bildung müsse viel stärker als bisher in den Fokus der Politik rücken.

Corona-Aufholprogramm verlängern oder nicht?

Die Bundesregierung hat zwei Milliarden Euro für die Jahre 2021 und 2022 im Rahmen des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona“ bereitgestellt. Unter Federführung des Bundesbildungs- und des Bundesfamilienministeriums werden ganz unterschiedliche Maßnahmen ermöglicht, damit Kinder Rückstände in verschiedenen Entwicklungsbereichen aufholen können.

Außerdem hat die Ampel im Koalitionsvertrag ein „Startchancen“-Programm zur Unterstützung von Schulen angekündigt, dies ist aber noch in der Planungsphase. CDU-Politikerin Prien forderte am Montag, die Finanzierung des Corona-Aufholprogramms müsse übergangsweise verlängert werden.

Ria Schröder, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, sagte dazu, beim Corona-Aufholprogramm sei das Geld zu oft nach dem Gießkannenprinzip verteilt worden und zudem oft für ohnehin geplante Maßnahmen verwendet worden. Der Bund sollte stattdessen seinen Fokus auf das künftige „Startchancen“-Programm legen. Dieses solle zum Schuljahr 2024/25 starten.

Entscheidend werde sein, das Geld so zu verteilen, dass es tatsächlich bei den Schulen in den schwierigsten Lagen ankomme. Auch aus dem FDP-geführten Bundesbildungsministerium heißt es, das Programm „Aufholen nach Corona“ solle auf Bundesebene nicht verlängert werden. Das „Startchancen“-Programm könne nicht vor dem Schuljahr 2024/25 starten, weil eine „sorgfältige Konzeptionierung“ vonnöten sei.

Komplett anders sieht das die Opposition. Thomas Jarzombek, Sprecher der Unionsfraktion für Bildung, nennt es einen riesigen Fehler, das Corona-Aufholprogramm nun ersatzlos auslaufen zu lassen, obwohl noch mindestens zwei Jahre vergehen, bis das „Startchancen“-Programm beginnt.

„Dann sind die Lernrückstände so weit aufgestaut, dass sich das nicht mehr kompensieren lässt“, sagt Jarzombek. Die IQB-Ergebnisse seien dramatisch, es bestehe dringender Handlungsbedarf. Er verweist zudem darauf, in den vergangenen Monaten wäre genug Zeit gewesen, das Programm umzugestalten, wenn die Regierung mit einzelnen Punkten unzufrieden sei.

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Jarzombek kritisiert auch, dass das „Startchancen“-Programm nur zehn Prozent der Schulen mit dem dringendsten Bedarf fördern solle. „Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf gibt es an allen Schulen“, mahnt Jarzombek an. Er fürchtet, viele Kinder könnten bei der Fokussierung auf einzelne Schulen durchs Raster fallen.

Nina Stahr, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Berlin
Nina Stahr, Bildungspolitikerin der Grünen.

© promo

Die Ampelkoalition ist in der Frage der künftigen Förderung allerdings einig. Auch im Familienministerium sieht man keinen Bedarf, das Corona-Aufhol-Programm zu verlängern. Stattdessen setzt man für den Bereich der frühkindlichen Bildung auf die Effekte des geplanten Kita-Qualitätsgesetzes, das derzeit im parlamentarischen Verfahren ist. Auch Nina Stahr, Sprecherin für Bildung der Grünen-Fraktion, spricht sich nicht für eine Verlängerung des Aufhol-Programms aus. Vielmehr sollten sich das Bundesbildungsministerium und die Länder schnell über die genaue Ausgestaltung des „Startchancen“-Programms einigen. Es gehe darum, gezielt Schulen „in benachteiligten Quartieren und Regionen“ zu unterstützen, zum Beispiel mit zusätzlichen Stellen für Schulsozialarbeit, einem Investitionsprogramm und einem so genannten Chancenbudget. Die Ergebnisse der IQB-Studie nannte sie „teils desaströs“. Sie forderte die Länder auf, die Lehrpläne zu entschlacken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Auch der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, ist nicht dafür, das Corona-Aufholprogramm zu verlängern. Dieses sei eine kurzfristige Hilfestellung gewesen. Die neuen, „alarmierenden“ Daten würden aber zeigen, dass die Probleme tiefgreifender seien. Das „Startchancen“-Programm sei darauf die richtige Antwort, das Geld müsse an die Schulen mit dem größten Bedarf gehen, vor allem für Infrastruktur und Schulsozialarbeit.

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