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Wolf pack of five Eurasian wolves / grey wolves Canis lupus lupus on the look-out, standing on fallen tree trunk in forest in autumn 3334B3SN

© imago/alimdi/IMAGO/ALIMDI.NET / Arterra / Philippe

Exklusiv

„Logik der Schädlingsbekämpfung“: Alois Rainer gibt den Wolf zum Abschuss frei

Der Wolf soll bald regulär bejagt werden dürfen. Dem Tagesspiegel liegt der Gesetzentwurf des Agrarministeriums vor. Er sieht ein sehr weitgehendes Jagdrecht vor. Tierschützer sind entsetzt.

Von Thomas Krumenacker

Stand:

Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, Wölfe in Deutschland dem Jagdrecht zu unterwerfen und die Jagd auf sie zu erleichtern.

Der Entwurf für das neue Jagdrecht wird unter strikter Verschwiegenheit im Haus von Landwirtschaftsminister Alois Rainer (CSU) erarbeitet. Tagesspiegel Background liegt er nun vor. Das Ministerium setzt darin auf drastische Verschärfungen im Umgang mit den Raubtieren.

So ist eine weitreichende Freigabe der Jagd auf Wölfe in Deutschland bis hin zur Schaffung von faktisch wolfsfreien Zonen vorgesehen. Der Novelle zufolge sollen Wölfe in Deutschland künftig vom 1. September bis zum 28. Februar des Folgejahrs regulär jagdbar sein.

Voraussetzung ist, dass zuvor revierübergreifende Managementpläne für die Art aufgestellt werden und sich die Wolfspopulation in einem günstigen Erhaltungszustand befindet. Diesen hatte die Bundesregierung bereits vor wenigen Wochen für die Wölfe in zwei der drei biogeografischen Regionen Deutschlands an die EU-Kommission gemeldet.

Feuer frei auf „Schadwölfe“ im 20-Kilometer-Radius

Neben der Einführung einer halbjährigen Jagdzeit für alle Wölfe will das Agrarministerium Möglichkeiten schaffen, um Wölfe einfacher töten zu können, die Nutztiere erbeutet haben. Dies soll auch in der Schonzeit und auch dann möglich sein, wenn die Population in einen ungünstigen Erhaltungszustand abrutschen sollte.

Dem Entwurf zufolge ist die Voraussetzung dafür, dass ein Gutachter bestätigt, dass ein Nutztier-Riss von einem Wolf verursacht wurde und das getötete Nutztier in einem „zumutbaren“ Umfang – etwa durch einen Zaun – geschützt war. In solchen Fällen darf – ohne dass eine behördliche Anordnung nötig ist – in einem Zeitraum von sechs Wochen nach dem Riss in einem 20-Kilometer-Radius auf den Wolf geschossen werden, der als Urheber eines Risses vermutet wird. Aktuell gilt eine Umkreisregel von 1000 Metern.

Die Jagdfreigabe endet, „sobald der Schadwolf erlegt ist“, heißt es in dem Entwurf.

© dpa/Bernd Thissen

Diese Einzelfallregelung soll dem Gesetz nach zwar „den jeweils schadenstiftenden Wolf“ ins Visier nehmen. Dass dabei auch wirklich nur auf den Wolf angelegt wird, der ein Nutztier getötet hat, muss nicht nachgewiesen werden. Die Jagdfreigabe endet, „sobald der Schadwolf erlegt ist“, heißt es in dem Entwurf dazu lediglich. Tritt aber dennoch ein weiterer Riss auf – wurde also der falsche Wolf getötet –, „kann die Regelung neu aktiviert werden, um gegebenenfalls einen weiteren Wolf zu erlegen“.

Tötung ganzer Rudel unabhängig von Rissen

Noch deutlich weiter gehen zwei Vorschriften in dem Entwurf. Sie ermöglichen in Kombination miteinander die Schaffung de facto wolfsfreier Zonen: Die zuständige Jagdbehörde wird darin zum einen mit der Vollmacht ausgestattet, „zur Abwendung land-, forst-, fischerei- oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger wirtschaftlicher Schäden“ die Tötung einzelner Wölfe oder sogar eines gesamten Wolfsrudels anzuordnen – ohne Beachtung von Schonzeiten und selbst dann, wenn den Wölfen keine Risse von Nutztieren zuzuordnen sind.

Da reicht ein einziges Lamm, das geholt wurde.

Ilka Reinhard, Biologin vom LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung

Zum Zweiten wird die zuständige Behörde ermächtigt, Weidegebiete festzulegen, in denen „zur Abwendung ernster land- oder forstwirtschaftlicher Schäden“ eine Bejagung des Wolfs selbst bei einem ungünstigen Erhaltungszustand der Art erlaubt ist. Diese Regelung betrifft Gebiete, die „aufgrund der Geländebedingungen nicht schützbar sind oder diese aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten nicht zumutbar wolfsabweisend zäunbar sind“. Das Ministerium nennt in diesem Zusammenhang Almen und Deiche „als Beispiele“ für diese Gebiete, „in denen eine Ausbreitung des Wolfs aus übergeordneten Gründen nicht erwünscht ist“.

Das Bundesumweltministerium bleibt beim neuen Umgang mit dem Wolf dem Entwurf zufolge weitestgehend außen vor. Der Wolfsparagraph 45a im Bundesnaturschutzgesetz soll ersatzlos gestrichen werden und allein das Landwirtschaftsministerium soll künftig mit Zustimmung des Bundesrats über die Einzelheiten des Wolfsmanagements bestimmen.

Im schlimmsten Fall mehr Wolfsrisse

Vom Tagesspiegel Background mit dem Entwurf konfrontierte Fachleute kritisieren den Entwurf. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine generelle Bejagung zu einer Absenkung der Nutztierschäden führen wird“, sagt Ilka Reinhard. Die Biologin vom LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung, hat das Comeback der Art von Anfang an begleitet. „Wenn es mit dem Gesetz wie behauptet darum geht, die Nutztierschäden runterzubekommen, dann macht es überhaupt keinen Sinn, wahllos auf irgendwelche Wölfe zu schießen, sondern dann müsste in Einzelfällen konkret dort geschossen werden, wo die Risse stattfinden.“

Den 20-Kilometer-Radius zur Bejagung nach einem Rissschaden hält sie für viel zu groß. Auch den Beginn der Jagdzeit im September kritisiert die Biologin. Im Alter von etwa vier Monaten seien die Welpen dann noch völlig abhängig von den Eltern. Das sei nicht nur aus ethischen Gründen ein Problem.

Verstößt das Gesetz gegen Europarecht?

Im schlimmsten Fall könne es sogar passieren, dass es durch die Bejagung zu mehr statt zu weniger Nutztierrissen komme. „Wird im Herbst ein Elterntier geschossen, dann hat das andere Elternteil umso mehr Druck, die Welpen alleine zu versorgen, und wird noch mehr versuchen, an einfache Beute heranzukommen – und dann trifft es vor allem nicht gut geschützte Nutztiere“, warnt Reinhardt.

Der Umweltrechtler Alexander Ionis von der Leipziger Kanzlei Baumann sieht Widersprüche zwischen dem Entwurf und der europäischen FFH-Naturschutzrichtlinie. Während die FFH-Richtlinie die Tötung geschützter Tiere in Ausnahmefällen an die Voraussetzung knüpfe, dass dadurch „ernster Schaden“ verhütet werde, sehe der Entwurf diese Qualifizierung nicht durchgängig vor. „Da reicht ein einziges Lamm, das geholt wurde.“

Das sind Dinge, die gegen die Ethik des waidgerechten Jagens verstoßen.

Alexander Ionis, Umweltrechtler von der Leipziger Kanzlei Baumann

Noch gravierender sei, dass die FFH-Richtlinie einen günstigen Erhaltungszustand der Population zur Voraussetzung für ausnahmsweise Tötungen mache, während der deutsche Entwurf auch die Tötung von Wölfen in einem ungünstigen Erhaltungszustand erlaube. „Ob die Entnahme auch bei einem ungünstigen Erhaltungszustand mit dem europäischen Recht vereinbar ist, ist zumindest fraglich“, sagt Ionis.

Ionis kritisiert auch, dass die in dem Entwurf zugelassenen Praktiken, wie die Wölfe gejagt werden dürfen, bisher gültige Jagdnormen sprengen würden. Der Entwurf erlaubt die Verwendung künstlicher Lichtquellen und Vorrichtungen zum Anstrahlen der Tiere in der Nacht wie das Aufstellen von Scheinwerfern im Wald und den Einsatz von Nachtzielgeräten.

„Das sind Dinge, die gegen die Ethik des waidgerechten Jagens verstoßen“, sagt Ionis. Dem Wolf werde die gleiche ethische Behandlung verwehrt, die für andere Wildtiere gelte, kritisiert Ionis, der selbst Jäger ist. „Hier kippt die jagdrechtliche Regelung in eine Logik der Schädlingsbekämpfung.“

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