zum Hauptinhalt
Machtkampf im Auswärtigen Amt

© Kitty Kleist-Heinrich

Maas teilt die Macht in seinem Ministerium: Konkurrenz für den starken Staatssekretär im Auswärtigen Amt

Außenminister Maas hat die Führung seines Hauses umstrukturiert. Bisher hatte Staatssekretär Michaelis fast uneingeschränkt Einfluss, nun muss er Macht teilen.

Von Hans Monath

Es ist bald 18 Jahre her, aber diesen Moment hat Andreas Michaelis so wenig vergessen wie andere Politiker und Diplomaten, die damals schon die deutsche Außenpolitik mitbestimmten. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes (AA) stand mit anderen engen Mitarbeitern Joschka Fischers auf den Terracotta-Fliesen im Amtszimmer des Außenministers im zweiten Stock des Ministeriums.

Es war der 11. September 2001, auf dem Fernsehschirm waren die brennenden Türme des New Yorker World Trade Centers zu sehen. „Er saß hinter seinem Schreibtisch, guckte uns an, wir standen auch etwas verstört da, und er sagte zu uns: Kinder – oder Buben, nichts wird so sein wie vorher. Nichts ist mehr so wie vorher.“ So erinnerte sich der heutige beamtete Staatssekretär im AA später in einer ZDF-Dokumentation: „Und man spürte das auch im Bauch, dass diese Aussage wahr war.“

Die Ansprache „Kinder“ oder „Buben“ – sie war eines jener rhetorischen Mittel, mit denen der oft aufbrausende Vollblutpolitiker Fischer Distanz zu seinen Mitarbeitern schuf. In Wirklichkeit waren die alle sehr erwachsen und im diplomatischen Betrieb schon sehr erfahren.

18 Jahre später hat sich die Welt noch viel radikaler geändert, als Fischer sich das damals vorstellen konnte. Die internationale Ordnung scheint in Auflösung; die Europäische Union ist nicht nur von außen, sondern auch von innen bedroht.

In Spitzenpositionen aufgerückt

Die Diplomaten, die vor 18 Jahren eng mit dem grünen Außenminister zusammengearbeitet hatten, sind heute in Spitzenpositionen des Ministeriums aufgerückt. Man könnte es auch so sagen: Während draußen die Gewissheiten bröckeln, haben Michaelis und Außenminister Heiko Maas (SPD) eine Leitungsgruppe mit Diplomatinnen und Diplomaten aufgebaut, die der Staatssekretärs alle gut kennt.

Lernte Joschka Fischer kennen, als der Israel und die Palästinensischen Gebiete besuchte: Andreas Michaelis, heute Staatssekretär im Auswärtigen Amt. ,
Lernte Joschka Fischer kennen, als der Israel und die Palästinensischen Gebiete besuchte: Andreas Michaelis, heute Staatssekretär im Auswärtigen Amt. ,

© Thomas Trutschel/photothek.net

Antje Leendertse, die vor zehn Tagen als zweite Staatssekretärin Walter Lindner ablöste, war unter dem Grünen-Politiker stellvertretende AA-Sprecherin. Vor ihrem Aufstieg in den Staatssekretärs-Rang bearbeitete sie als Politische Direktorin im AA alle Härtefälle der internationalen Diplomatie – vom Ukraine-Krieg bis zum Ringen um eine Nachkriegsordnung für Syrien oder der Rettung des Atomabkommens mit dem Iran vor der erratischen Außenpolitik Donald Trumps.

Die Diplomatin war fast immer mit dabei, wenn der erst vor einem Jahr ins Amt gekommene Minister im In- und Ausland wichtige Gesprächspartner traf. Lindner, der nach Michaels AA-Chefsprecher gewesen war, erinnerte bei der Amtsübergabe an die Zeit unter dem fachlich und menschlich fordernden Ressortchef und machte der Nachfolgerin Mut: „Wer Joschka Fischer jahrelang überlebt, der schafft auch den Staatssekretärsposten.“

Joschka Fischer brauchte einen Vertrauten

Fischer hatte Michaelis kennengelernt, als der junge Diplomat der deutschen Botschaft in Tel Aviv im autonomen, palästinensischen Jericho ein Verbindungsbüro aufbaute. Vor dessen Ministerzeit führte er den Grünen-Fraktionschef durch Jerusalem und die Westbank, man verstand sich gut.

Weil Fischer im AA nur wenige kannte, holte er nach der Amtsübernahme schnell Michaelis. Der hatte im Nahen Osten auch gelernt, wie politische und religiöse Botschaften Menschen zu Gewalttätern machen können. Ein befreundeter israelischer Arzt, der überlebende palästinensische Selbstmordattentäter behandelt hatte, erzählte ihm, dass diese ihren Unterkörper zum Schutz vor der eigenen Bombe eingipsten. Hintergrund war die Überzeugung, dass auf islamische Märtyrer im Paradies 72 Jungfrauen warten.

Seine Aufgabe beschrieb der seit einem Jahr amtierende oberste Beamte am Werderschen Markt dieser Tage in einem AA-Video: „Man arbeitet an der Grenzlinie zwischen Politik und der Fachebene eines Ministeriums“, sagt er an einem sehr aufgeräumten Schreibtisch sitzend. In der „modernen Diplomatie“ gehe es darum, „Vertrauen aufzubauen, dabei klar und belastbar zu sein, die Wahrheit zu sprechen und immer einen Schritt weiter zu denken, als man sehen kann“.

„Er ist der Klügste, den sie im Auswärtigen Amt haben“

Auf mögliche Entwicklungen vorbereitet zu sein, das ist ein ehrgeiziges Programm – und viele trauen ihm genau diese Aufgabe zu. „Er ist der Klügste, den sie im Auswärtigen Amt haben“, lobt ihn ein erfahrener Oppositionspolitiker. Und machtbewusst sei der 59-Jährige auch, sagen AA-Kollegen. Dabei galt er politisch als Außenseiter, als er nach dem Studium in Hannover und Oxford seine Attaché-Ausbildung 1991 beendet hatte.

Michaelis war einer der wenigen Diplomaten mit großer Nähe zu den Grünen in dem Ministerium, in dem damals viele FDP und CDU favorisierten. Der Hannoveraner arbeitete 1998 an deren Bundestags-Wahlprogramm mit, Mitglied wurde er aber erst zwölf Jahre später.

Als „drängendstes Thema“ für sein Haus nannte der studierte Philosoph im AA-Video die Zukunft Europas: „Die EU ist unter starkem Druck“, erklärte er. Für Deutschland stelle sich deshalb die Aufgabe, „in Europa auch Führung zu leisten und dazu beizutragen, dass Europa gestärkt wird und souverän agieren kann auf der internationalen Bühne“. Der Begriff „Führung in Europa“ als deutsche Aufgabe - noch zu Zeiten Fischers hätte sich ein deutscher Spitzendiplomat damit wohl schwer getan - doch längst stellt sich das Auswärtige Amt dieser Aufgabe.

Sehr hartnäckig, aber jedem überflüssigem Brimborium gegenüber kritisch: So beschreibt Außenminister Heiko Maas (SPD) seine neue Staatssekrtärin Antje Leendertse.
Sehr hartnäckig, aber jedem überflüssigem Brimborium gegenüber kritisch: So beschreibt Außenminister Heiko Maas (SPD) seine neue Staatssekrtärin Antje Leendertse.

© Auswärtiges Amt

Zur europäischen Souveränität in einer unsicheren Welt, die Michaelis beschwört, gehören allerdings neben strategischer Handlungsfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Verlässlichkeit auch militärische Fähigkeiten und das Einhalten von Zusagen – gegenüber den EU-Partnern genauso wie gegenüber der Nato. Mit der Außen- und Sicherheitspolitik der Partei seines Außenministers, der SPD, hadere Michaelis, sagen AA-Kollegen. Viele Diplomaten sehen die sozialdemokratischen Sonderwege beim Waffenexport zulasten einer europäischen Zusammenarbeit oder die Dauerpolemik gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben mit großer Sorge.

Verständnis für SPD-Positionen

Michaelis’ neue Kollegin Leendertse zeige zumindest intern mehr Verständnis für sozialdemokratische Positionen, heißt es unter Diplomaten. Die 56-Jährige, die zweite Frau auf diesem Posten im AA, ist vor allem für die Organisation des Hauses mit seinen 14.000 Mitarbeitern zuständig. Ihr untersteht aber auch die Abteilung für Internationale Ordnung, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle, so dass sie auch weiter operative Entscheidungen vorbereiten wird.

Bis zur Ernennung von Leendertse galt Michaelis als Staatssekretär mit fast uneingeschränktem Einfluss im AA; manche im Haus meinten sogar, er führe es anstelle des Ministers. Nun erwarten erfahrene Diplomaten eine Machtteilung. Maas beschrieb seine neue oberste Beamtin vor zehn Tagen nicht nur als „unprätentiös“, sondern als „wirklich unverwüstlich hartnäckig, nicht nur gegenüber anderen, sondern auch mir gegenüber“.

Lebende Diplopedia

Der Minister lobte, Leendertse verfüge über ein „messerscharfes diplomatisches Urteil“ und sei eine Art lebendes „Diplopedia“, also immer informiert über jedes Detail der internationaler Politik. Sie wisse, welche Whiskymarke der russische Außenminister Sergej Lawrow bevorzuge. Die Staatssekretärin machte in ihrer Antrittsrede deutlich, dass sie auch das Werben um Verständnis im Inland als Aufgabe ansieht: „Es kann uns nicht kalt lassen, wenn sich in unserem Land eine Kluft auftut zwischen immer massiveren außenpolitischen Gestaltungsaufgaben einerseits und einem Lebensgefühl in Teilen unserer Gesellschaft andererseits, das ins nationale oder auch nationalistische Schneckenhaus zurückwill.“

Neuer Politischer Direktor wird Jens Plötner, bisher Botschafter in Athen. Auch er hatte nach 2002 unter Fischer im Pressereferat gearbeitet, stieg später unter Frank-Walter Steinmeier zum Chefsprecher auf. Gemeinsam ist den drei Spitzendiplomaten, dass sie sich als harte Realisten auf der Grundlage fester Werte verstehen. Aber sie arbeiten für einen Minister, der gern hohe Ziele formuliert, ohne immer Wege dorthin zu kennen. Sie wollen sich, ohne zynisch zu werden, den Blick auf die Wirklichkeit nicht verstellen lassen. In einer Zeit, in der nur noch auf wenig Verlass ist, könnten diese Vorsätze sich als nützlich erweisen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false