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Der Knabenchor heißt Knabenchor, weil...

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Martenstein über Mädchen in Knabenchören: Sie klingen einfach anders

Die Komponisten konnten nicht ahnen, was kommen würde. Arglos haben sie für Knaben-, Mädchen- und gemischte Chöre geschrieben. Eine Glosse.

Eine Glosse von Harald Martenstein

Die Anwältin Susanne Bräcklein hat im „Tagesspiegel“ gefordert, dass auch Mädchen in Knabenchören mitsingen dürfen. Alles andere sei Diskriminierung. Anlass war ein Fall beim Berliner Staats- und Domchor, der ein Mädchen abgelehnt hat, weil es ein Mädchen sei und der Domchor ein Knabenchor.

Der Kern des Problems besteht darin, dass Jungenstimmen anders klingen als Mädchenstimmen. Jahrhundertelang haben Komponisten Werke für Knaben, für gemischte Chöre und auch für Mädchenchöre geschrieben, nicht ahnend, was die Zukunft bringen würde. Der Geschäftsführer des Leipziger Thomanerchors sagt, dass man ja auch bei einer Komposition die Streicher nicht einfach durch Klarinetten ersetzen kann, eine Herabwertung der Klarinette stellt dies nicht dar. Die Thomaner sind von der Debatte besonders betroffen, weil bei ihnen die Jungen nach dem Stimmbruch bis zum 19. Geburtstag im Chor weitersingen, als Tenöre oder Bässe. Mädchen mit Bass-Stimmen sind schwer zu finden, es sei denn, man setzt Hormone ein, wie bei den sowjetischen Leichtathletinnen.

Da geht es mal wieder ums Prinzip. Ein Mädchen, das gemeinsam mit Jungen singen will, kann jederzeit einen gemischten Kinderchor finden. Mit nennenswerten Privilegien ist die Mitgliedschaft in einem Knabenchor auch nicht verbunden. Susanne Bräcklein fragt: Was wäre so schlimm daran, wenn das Chorstück ein bisschen anders klingt? Nun, das Original kann man nach dem Knabenchor-Verbot immerhin noch auf CDs hören, sofern die nicht auch verboten werden. Außerdem werden sich garantiert im Untergrund private Knabenchöre bilden, die heimlich Benjamin Brittens Meisterwerk „A Boy was born“ singen und der originalen Frau Musica huldigen. Wenn zufällig Susanne Bräcklein in der Nachbarschaft wohnt und die Polizei ruft, können die Knaben behaupten, dass sie bloß mit ihrem Onkel eine CD gehört hätten. Im Iran trinken viele Leute ja auch zu Hause heimlich Alkohol und feiern kopftuchlos Partys. Es ist wahnsinnig schwierig, eine Gesellschaft vollständig unter Kontrolle zu bekommen.

In Hannover klagte vor Jahren eine Tierärztin, sie verlangte, als „Doctora“ angesprochen zu werden. Das Wort „Doctora“ gibt es im Lateinischen allerdings nicht, es gibt nur „Doctrix“. Dieses Wort hätte die Ärztin verwenden dürfen. Sie lehnt aber „Doctrix“ ab, weil es so ähnlich klingt wie „Obelix“ und sie insofern auch diskriminiert. Das Gericht lehnte ab. Der Staat habe „weder das Recht noch die Pflicht, die lateinische Sprache fortzuentwickeln“.

Wir Männer sind unsensibel, das ist bekannt. Deshalb macht es uns nichts aus, dass „Doktor“ wie „Kack-Tor“ klingt und „Minister“ nach „blöd ist er“. Und dass unsere Söhne nicht beim „Mädelsflohmarkt“ in der Essener Grugahalle dabei sein dürfen, nehmen wir auch hin. Das Wort „Prinzipienreiter“ aber geht auf den Mann, Fürsten und Pferdefreund Heinrich Reuß zu Lobenstein-Ebersdorf zurück, der stets verlangte, dass jeder jederzeit mit seinem vollen Titel angesprochen wird, egal, wie lang er ist.

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