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Archivbild: In Berlin wird ein Tatverdächtiger festgenommen.

© dpa/Monika Skolimowska

Mehr Kriminalität durch Zuwanderung?: Forscher sehen Problem bei jungen Männern in Städten – nicht bei Ausländern

Eine neue Studie sorgt für Aufsehen, weil sie keinen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Zuwanderung sieht. Manche wittern gar eine Verschwörung. Ein Faktencheck.

Stand:

Durch die jüngsten Anschläge in Magdeburg, Aschaffenburg oder München und die politische wie mediale Reaktion darauf bestimmt das Thema Zuwanderung die öffentliche Debatte.

Nun sorgt eine vom Ifo-Institut am Dienstag veröffentlichte Studie für neue Schlagzeilen – weil sie im Kern sagt, dass Migration keinen systematischen Einfluss auf die Kriminalität hat.

In den sozialen Medien ist nach Bekanntwerden der Studie ein Wettstreit von Verschwörungstheorien entbrannt: Die einen führen dabei den Migrationshintergrund der Täter bei den jüngsten Attentaten ins Feld und zweifeln allein deshalb die Ergebnisse an.

Andere werfen dem Institut vor, kurz vor der Wahl bewusst Tatsachen verdrehen und negative Aspekte von Migration verschleiern zu wollen. Nicht wenige spekulieren gar über einen gezielten Auftrag durch die Regierung oder die Arbeitgeberseite.

Was die Zahlen aussagen und wie andere Forscher sie bewerten.


Was sagt die Studie?

Die Studie stammt von zwei jungen Ökonomen, die beide am Ifo-Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.) forschen. Das Institut wird durch Bund und Länder sowie über Drittmittelprojekte finanziert und ist eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Europa. Von seiner Ausrichtung gilt es als eher konservativ-liberal.

Für die Studie haben die Forscher Daten der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland ausgewertet.

Kernaussage der Untersuchung ist: Zwischen Herkunft und Kriminalität gibt es keinen signifikanten Zusammenhang. Stattdessen sei die Kriminalitätsrate vor allem durch den Wohnort von Tätern sowie andere demografische Faktoren bestimmt.


Was sagt die Kriminalstatistik?

Auf den ersten Blick (vor allem, wenn man die Studie nicht gelesen hat) können die Ergebnisse überraschen. Über alle Delikte gesehen und ohne ausländerrechtliche Verstöße weist die PKS für 2023 – die Zahlen für 2024 liegen erst im März oder April vor – einen Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger an allen Tatverdächtigen von 34,4 Prozent aus. Dabei machen Ausländer insgesamt nur rund 16 Prozent der Bevölkerung aus.

Ich stimme voll mit den Kernaussagen der Studie überein, dass mehr Zuwanderung nicht mehr Kriminalität bedeutet.

Anna Bindler, Professorin für Ökonomie

Darauf weisen die Autoren allerdings gleich zu Beginn der Studie hin. „Ausländer sind in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) überrepräsentiert“, heißt es. Während 57 ausländische Tatverdächtige auf 1000 ausländische Einwohner kamen, waren es nur 19 deutsche Tatverdächtige auf 1000 deutsche Einwohner.

Doch bereinigt man die Ergebnisse um Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Wohnort, kommen die Studienautoren zu der Schlussfolgerung, dass die Staatsangehörigkeit nicht ausschlaggebend ist für die Häufigkeit der Straffälligkeit.


Was sagen andere Forscher?

Diese Ergebnisse decken sich mit dem aktuellen internationalen Forschungsstand. „Ich stimme voll mit den Kernaussagen der Studie überein, dass mehr Zuwanderung nicht mehr Kriminalität bedeutet“, sagte die Ökonomin Anna Bindler dem Tagesspiegel.

Sie forscht seit Jahren über die wirtschaftlichen Folgen von Kriminalität und sagt: Kriminalität ist weitestgehend unabhängig vom Migrationshintergrund von Täterinnen und Tätern.

Auch der Soziologe Dietrich Oberwittler hält die Studienergebnisse für „völlig plausibel und wissenschaftlich gedeckt“. Trotzdem sieht der Professor vom Max-Planck-Institut Freiburg kleinere Schwächen.

Oberwittler hält es für problematisch, dass die beiden Ifo-Forscher keine Kriminologen und fast keine Forschung aus diesem Bereich zitieren. Auch merkt er an, dass die untersuchten Gebiete, die über 400 Kreise, relativ groß sind und sich Zusammenhänge schwerer aufeinander beziehen lassen. „Es ist offen, ob die Ergebnisse dann anders ausfallen würden“, sagte er dem Tagesspiegel. Trotzdem teilt er die Kernaussagen der Studie.


Warum sind Ausländer in der PKS überrepräsentiert?

Sowohl Bindler als auch Oberwittler stimmen überein, dass sich der verhältnismäßig höhere Ausländeranteil in der Kriminalstatistik durch andere Faktoren als die Herkunft erklären lässt.

Männer werden öfter straffällig als Frauen, jüngere Menschen häufiger als ältere. Unter Eingewanderten sind aber eben vor allem Männer jüngeren Alters. „Geschlecht und Alter sind eine wichtige Erklärung für den höheren Kriminalitätsanteil“, sagt die Ökonomin Anna Bindler.

Die beiden Ifo-Forscher halten in ihrer Studie den Wohnort für noch entscheidender: „Die höhere Kriminalitätsrate von Ausländern wird überwiegend durch ortsspezifische Faktoren, etwa ihre Konzentration in Ballungsräumen mit hoher Kriminalitätsdichte, erklärt.“

Doch warum ist die Kriminalität dort grundsätzlich größer? „Das ist vor allem auf die Zentrumsfunktion von Städten zurückzuführen“, sagt der Soziologe Dietrich Oberwittler. Menschen pendeln dorthin, um einzukaufen, ihren Hobbys nachzugehen oder auszugehen. „Kriminalität passiert im Zuge des Alltagslebens.“ Mehr Einkaufsmöglichkeiten und Einkäufe bedeuteten auch mehr Ladendiebstähle, mehr Bars und Clubs mehr Körperverletzungsdelikte.

In der kriminologischen Forschung ist es ein robuster Befund, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund vor allem aus der Türkei oder muslimischen Ländern unter Kontrolle aller anderen Faktoren immer noch eine etwas höhere Neigung zu Gewalt haben.

Dietrich Oberwittler, Professor für Soziologie

DIW-Forscherin Anna Bindler fügt hinzu, dass bei Asylbewerberinnen und -bewerbern noch die teils prekäre soziale und ökonomische Lage, teilweise auch Gewalterfahrungen vor oder auf der Flucht hinzukommen. „Auch diese Faktoren sind Risikofaktoren für Kriminalität“, sagt sie.


Steigt die Kriminalität also durch Zuwanderung?

Dass die Migration der vergangenen Jahre keine Auswirkungen auf die Kriminalität einzelner Regionen gehabt hat, lässt sich aus der Studie nicht folgern. Das haben beide Forscher aber auch nicht behauptet. Da unter Zugewanderten verhältnismäßig viele junge Männer sind, wächst die Kriminalität unter dem Strich aber doch – und zwar so lange, bis sich die demografische Struktur verändert oder die Zuwanderung besser organisiert wird.

„In der kriminologischen Forschung ist es ein robuster Befund, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund vor allem aus der Türkei oder muslimischen Ländern unter Kontrolle aller anderen Faktoren immer noch eine etwas höhere Neigung zu Gewalt haben“, sagt Dietrich Oberwittler. Allerdings sei die Kriminalitätsneigung sowohl der einheimisch-deutschen als auch der migrantischen Jugendlichen im Laufe der Zeit gesunken.

Zudem weist der Soziologe darauf hin, dass es nach dem Höhepunkt des Zuzugs von Flüchtlingen 2015/2016 und in den letzten Jahren zwar einen vorübergehenden Anstieg in der Kriminalstatistik gegeben hat. Es sei aber davon auszugehen, dass die Zahlen auch relativ schnell wieder zurückgehen. Über einen längeren Zeitraum gesehen sinke die Kriminalität in Deutschland parallel zu einem steigenden Migrantenanteil.

Darüber hinaus ist in vielen Städten mit sehr hohem Migrantenanteil die Kriminalitätsbelastung besonders niedrig. Beispiele sind München oder Stuttgart. „Das könnte darauf hindeuten, dass Städte mit einer positiven Wirtschaftsstruktur, in denen Migranten in den Arbeitsmarkt integriert sind, entsprechend auch weniger Kriminalität haben“, sagt Oberwittler.


Was hilft gegen steigende Kriminalität? 

Trotzdem plädieren aktuell viele Politikerinnen und Politiker vor allem für eine Verschärfung der Migrationspolitik, um die Kriminalität einzudämmen. Nicht nur die Ergebnisse der beleuchteten Studie zeigen, dass das am eigentlichen Problem vorbeigeht – auch weil die Kriminalstatistik nicht genug Aufschluss gibt.

„Um ein genaues Lagebild der Kriminalität in Deutschland zu erhalten, müssten wir erstmal eine bessere Faktenlage schaffen“, sagt Anna Bindler. Zum Beispiel durch regelmäßige Dunkelfeldstudien – wie sie Forscher wie Dietrich Oberwittler durchführen –, bei denen Haushalte zu Kriminalitätserfahrungen befragt werden.

Auch die Ifo-Forscher fordern zu Forschungszwecken detailliertere Daten, etwa anonymisierte, personenbezogene Daten zu Straftaten sowie Aufenthalts- oder Erwerbsstatus.

„Völlig klar ist, dass wir mehr Sicherheit vor allem durch mehr Prävention erhalten“, sagt Anna Bindler. Etwa indem man die Polizei stärke, vor allem mehr in Bildung investiere oder den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtere.

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