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Der Verfassungsschutz rechnet 24.100 Menschen in Deutschland der rechtsextremen Szene zu. Dazu kommen ca. 19.000 Reichsbürger.

© imago/Seeliger

Mehr Menschen radikalisieren sich: 132.000 rechte, linke, islamistische und ausländische Extremisten

2018 gab es in Deutschland 5000 Extremisten mehr als ein Jahr zuvor. Laut dem niedersächsischem Verfassungsschutz wächst vor allem die Zahl der Reichsbürger.

Von Frank Jansen

In Deutschland nimmt die von Extremisten ausgehende Gefahr weiter zu. Der Verfassungsschutz kommt in einer Bilanz für das Jahr 2018 auf knapp 132.000 rechte, linke, islamistische und ausländische Extremisten sowie Reichsbürger. Das sind über 5000 Extremisten mehr, als das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem Jahresbericht 2017 aufgelistet hatte.

Die bundesweiten Zahlen für 2018 finden sich im Jahresbericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes, den Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) und der Chef der Landesbehörde, Bernhard Witthaut, am Mittwoch vorgestellt haben. Pistorius und Witthaut griffen damit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor, der die Bilanz des Bundesamtes für Verfassungsschutz für 2018 in drei Wochen gemeinsam mit Behördenchef Thomas Haldenwang präsentieren will.

In den Angaben des niedersächsischen Verfassungsschutzes zur bundesweiten Entwicklung fallen vor allem der Zuwachs der Reichsbürger, der Linksextremisten und der Salafisten auf. Bei den Reichsbürgern, die zum Teil rechtsextrem eingestellt sind und die Bundesrepublik als Staat ablehnen, registrierte der Verfassungsschutz 2018 eine Zunahme um 2500 Personen auf 19.000. Der Anstieg der Zahl ist aber offenbar nur teilweise auf einen Zulauf zurückzuführen. Sicherheitskreise betonen, da die Szene intensiver beobachtet werde als früher, würden auch mehr Personen als Reichsbürger bekannt.

Ungebremstes Wachstum beim Verein „Rote Hilfe“

Die linksextreme Szene wuchs 2018 bundesweit auf 32.000 Personen (2017: 30.400). Ein Grund für den Anstieg ist das ungebremste Wachstum des Vereins „Rote Hilfe“, der inzwischen 9000 Mitglieder hat (2017: 8300). Der Verein unterstützt Linksradikale, gegen die strafrechtliche Verfahren anhängig sind. Trotz der ideologischen Streitereien in der  linksextremen Szene wird die Rote Hilfe weitgehend als Hilfsorgan akzeptiert. Der Verein bemüht sich mit seiner Unterstützung für straffällige Linksradikale, sie in der  Szene zu halten.

Die Zahl der gewaltorientieren Linksextremisten, vor allem Autonome, veränderte sich hingegen nicht. Der Verfassungsschutz spricht wie schon 2017 von 9000 Militanten. Damit blieb trotz der schweren Krawalle beim G-20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg, die von der Szene als Erfolg gefeiert wurden, ein weiterer Zulauf zum Spektrum der  gewaltorientierten Linksextremisten aus.

Salafistenszene wächst weiter - aber langsamer

In der islamistischen Szene wächst vor allem das salafistische Milieu weiter, aber nicht mehr im Tempo früherer Jahre. Der Verfassungsschutz stellte 2018 insgesamt 11.300 Salafisten fest (2017: 10.800, 2016: 9700, 2015: 8350). Gründe für die nachlassende Dynamik sind die schweren Niederlagen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien und Irak sowie die Verbote salafistischer Vereine in Deutschland und Strafverfahren gegen Anführer der Salafistenszene.

Das islamistische Spektrum insgesamt wuchs 2018 auf 26.430 Personen (2017: 25.810). Neben dem Anstieg bei den Salafisten fällt die Zunahme der in Deutschland lebenden Anhänger der schiitisch-libanesischen Terrororganisation Hisbollah auf (2018: 1050, 2017: 950).

Das Wachstum könnte die Diskussion um ein Verbot der Organisation befördern. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte am Rande der „Al-Quds-Demonstration“ am vergangenen Sonnabend in der Hauptstadt den Bund aufgefordert, die Hisbollah aufzulösen. Bei dem jährlichen Aufmarsch, im dem die Hisbollah eine wesentliche Rolle spielt, agitieren schiitische Extremisten gegen Israel und fordern die „Befreiung“ Jerusalems, das auf Arabisch „Al Quds“ heißt.

Kaum Veränderungen in der rechtsextremen Szene

In der rechtsextremen Szene gab es kaum Veränderungen. Wie der Tagesspiegel bereits berichtet hatte, wuchs das Spektrum im vergangenen Jahr nur um 100 Personen auf insgesamt 24.100. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten bleibt allerdings mit unverändert 12.700 Personen hoch. Dagegen setzte sich der Sinkflug der NPD fort, die Zahl der Mitglieder schrumpfte um 500 auf 4000. Zulegen konnte die „Identitäre Bewegung“ (2018: 600, 2017: 500), die mit spektakulären Aktionen wie der Besetzung des Brandenburgers Tors in Berlin im August 2016 auf ihre rassistischen Position aufmerksam macht.

Die Nachwuchsorganisation der AfD, Junge Alternative, ist erstmals im Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes erwähnt.
Die Nachwuchsorganisation der AfD, Junge Alternative, ist erstmals im Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes erwähnt.

© Maja Hitij/dpa

Bei den ausländischen Extremisten jenseits des islamistischen Spektrums tat sich nicht viel. Die kurdische Terrororganisation PKK blieb mit 14.500 Anhängern die stärkste Vereinigung, gefolgt von der rechtsextremen türkischen Ülkücü-Bewegung mit mehr als 11.000 Anhängern.

Erstmals im Bericht erwähnt: Die „Junge Alternative“

In Niedersachsen selbst blieb das extremistische Spektrum insgesamt weitgehend statisch. Es habe in den „einzelnen Phänomenenbereichen keine gravierenden Veränderungen der Personenpotenziale“ gegeben, sagte Innenminister Pistorius. Dennoch sieht er „keinen Grund zur Entwarnung“.

Der niedersächsische Verfassungsschutz nennt zudem in seinem Bericht in der Rubrik „Rechtsextremismus“ erstmals die Nachwuchsorganisation der AfD, „Junge Alternative (JA)“. Ihrem Landesverband werden 25 Personen zugerechnet. Niedersachsen und Bremen hatten im September 2018 als erste Bundesländer die Beobachtung der JA durch den Verfassungsschutz begonnen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz folgte im Januar 2019. Es stufte die JA deutschlandweit wegen extremistischer Bestrebungen als „Verdachtsfall“ ein, ebenso wie die AfD-Vereinigung „Der Flügel“. Die Gesamtpartei AfD gilt als „Prüffall“.

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