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Ackermann

© ddp

Missbrauch und Kirche: "Wir konkurrieren nicht mit der Justiz"

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann ist seit einem Monat Missbrauchsbeauftragter der katholischen Kirche. Mit dem Tagesspiegel sprach er über Missbrauch im Kirchenrecht – und warum er so schlimm ist wie Gotteslästerung.

Sie sind seit einem guten Monat der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz. Haben Sie mit Opfern gesprochen?



Die meisten haben sich per Brief oder Mail an mich gewandt, am Anfang waren das bis zu 20 am Tag. Es ist erschütternd, was die Leute schildern. Erschütternd auch, wie sehr sie heute immer noch unter den Traumata leiden, obwohl die meisten 50, 60 Jahre alt sind und teilweise schon Therapien hinter sich haben. Manche schildern die Vorfälle so, als seien sie gerade eben passiert. Das Perfideste ist ja, dass die Täter es verstanden haben, eine heimliche Komplizenschaft mit den Kindern aufzubauen. Sodass sich die Opfer mitschuldig fühlen. Das kann ich alles auch nur dosiert lesen.

Was muss sich bei den Leitlinien ändern?

Wenn es einen Missbrauchsfall gibt, muss ein forensisches Gutachten über den Täter erstellt werden, egal, ob der Fall verjährt ist oder nicht. Das müssen wir unbedingt in die Leitlinien der Bischofskonferenz aufnehmen.

Was ist mit der Anzeigepflicht?

Das werden wir diskutieren müssen. Die bayerischen Bischöfe sind vorangegangen; sie wollen Fälle sofort anzeigen, wenn ein berechtigter Verdacht auftaucht. Ich rate aber zur Vorsicht. Psychologen sagen, dass das heikel ist. Es könnte Opfer abschrecken, wenn sie wissen, dass sofort Anzeige erstattet wird, wenn sie etwas erzählen. Manche erleben das Geschehene beim Erzählen noch einmal sehr intensiv. Bei allem, was wir tun, muss es vor allem um die Interessen der Opfer gehen. In früheren Jahrzehnten haben wir versucht, den Ruf der Kirche zu schützen, indem wir die Täter zu sehr geschützt haben. Besteht nicht die Gefahr, dass wir jetzt auch wieder vor allem auf unser Image schauen?

Es geht also nicht darum, einen eigenen Rechtsraum der Kirche zu wahren?

Wir beanspruchen keinen Rechtsraum für uns, der mit der staatlichen Rechtsprechung konkurrieren würde.

Aber das Dokument über den „Schutz der heiligen Sakramente“, das Papst Johannes Paul II. unter Federführung von Kardinal Ratzinger 2001 erlassen hat, beschreibt einen eigenen kirchlichen Rechtsraum.

Schauen Sie: Ich bin Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Da greift das bundesdeutsche Recht. Aber ich bin auch Katholik. Und in diesem Bereich der katholischen Kirche gilt das Kirchenrecht. Ob ich zum Beispiel als Priester aus dem Klerikerstand entlassen werde, das kann nicht die deutsche Justiz entscheiden.

Das heißt, das päpstliche Geheimnis, mit dem die Ermittlungen zum Missbrauch auch von Kindern belegt werden, gilt nur für diesen kirchlichen Raum?

Selbstverständlich. Die Geheimhaltungspflicht besagt nur, dass das kirchliche Verfahren mit größter Diskretion behandelt werden muss. Von staatlichen Behörden erwarten wir ja auch, dass sie diskret ermitteln.

Die Verletzung des Beichtgeheimnisses und der Missbrauch der Eucharistie werden rein kirchenrechtlich geahndet. Die Kirche stellt sexuellen Missbrauch in eine Reihe damit. Bedeutet das, dass sie auch sexuellen Missbrauch intern ahnden will?

Gegen die Missverständnisse, die es auf diesem Feld gibt, kämpfen wir seit Wochen. Es ist so: Wenn ein sexueller Missbrauch vorliegt, muss das der Bischof an die Glaubenskongregation nach Rom melden. Wenn schon die Staatsanwaltschaft ermittelt, kann es sein, dass Rom sagt: Okay, wir warten die Ermittlungen ab. In vielen Fällen ist es aber so, dass wir uns gar nicht die Zeit nehmen können und wollen, bis weltliche Gerichte ein Urteil gefällt haben. Da hilft uns dann das Kirchenrecht, sofort Maßnahmen ergreifen zu können.

Noch einmal: Wenn ich als Priester die Hostien wegwerfe, ist das kirchenrechtlich gesehen genauso schlimm wie Kindesmissbrauch. Stimmen da Ihre Maßstäbe?

Das ist für Außenstehende vielleicht nicht einfach zu verstehen. Die Eucharistie zu missbrauchen, etwa indem ich die Hostien wegwerfe, das ist die schlimmste Gotteslästerung, die sich die Kirche vorstellen kann. Und wenn ein Priester das Beichtgeheimnis bricht, also den intimen Raum zwischen dem Beichtenden und Gott verletzt, ist das genauso schlimm. Dass der sexuelle Missbrauch von Kindern auf die gleiche Stufe gestellt wird, zeigt, dass die Würde des Kindes zu den allerheiligsten Phänomenen für uns gehört. Ihre Verletzung ist ein Kapitalverbrechen.

Liegt der Papst richtig mit seiner Analyse, dass die jetzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle damit zu tun haben, dass einige Priester das Zweite Vatikanische Konzil zu lax ausgelegt haben?

Das hat er in seinem Hirtenbrief an die irischen Katholiken geschrieben. In Irland hat die Kirche die Gesellschaft sehr stark dominiert und mindestens bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts ein sehr geschlossenes System gebildet. Ich stelle mir vor, dass die Diskussionen und Veränderungen der Nachkonzilszeit hart auf dieses System geprallt sind und dadurch zu Fehlentwicklungen mit den nun bekannten, zum Teil verheerenden Folgen im moralischen Bereich geführt haben.

Dann ist also doch auch die sexuelle Revolution schuld?

Für die 50er Jahre? Nein. Für die 60er Jahre? Nein. In den 70er Jahren haben sich die pädagogischen Vorstellungen durchaus verändert. Aber für den Missbrauch an Kindern und Jugendlichen können wir die sexuelle Revolution nicht verantwortlich machen. Verantwortlich sind die Täter. Vielleicht kann man es so sagen: Päderasten finden in jeder Moral ihre Wege, um zum Ziel zu kommen.

Der Papst hat mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Priesteramtskandidaten angemahnt. Können Sie sich das angesichts des Priestermangels überhaupt leisten?

Wir müssen uns das leisten. Was wir brauchen, sind gute Priester, dem Druck sinkender Zahlen dürfen wir nicht nachgeben. Die Priesterausbildung dauert in der Regel acht Jahre. Da kann man schon sehen, ob jemand geeignet ist.

Sie waren stellvertretender Chef eines Priesterseminars. Haben Sie selbst einmal einem Kandidaten nahegelegt, zu gehen?

(lacht) Einem? Nur etwa die Hälfte derjenigen, die die Ausbildung beginnen, werden am Ende geweiht. Und glauben Sie ja nicht, dass die andere Hälfte unbedingt von selbst darauf kommt, dass das nicht ihr Beruf ist!

Sie haben Ihr neues Amt vier Wochen vor Ostern übernommen. Wie erleben Sie Ostern in diesem Jahr?

Die Fastenzeit war für uns alle eine echte Bußzeit und eine Zeit der Gewissenserforschung. Ich glaube, wo es so etwas gab wie eine Glorifizierung der Kirche und des eigenen Tuns, ist die in dieser Zeit weggebrochen.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Andrea Dernbach.

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