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Thomas Oppermann im Interview: „Mit Charmeoffensiven kann die US-Regierung Vertrauen nicht wiederherstellen“

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann über das Ringen mit der Union, den Bündnispartner USA und die Chancen für den Mitgliederentscheid.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Herr Oppermann, im Wahlkampf haben sich SPD und Union bitter bekämpft, jetzt sieht man bei den Koalitionsverhandlungen nur noch strahlende Gesichter. Haben Sie in der Union schon neue Duzfreunde gefunden?
Meine Duzfreunde im Bundestag stammen vor allem aus dem FC Bundestag. In den Koalitionsverhandlungen sind keine neuen dazugekommen. Im Wahlkampf haben wir zu Recht die Unterschiede betont, die auch heute noch bestehen. In den Koalitionsverhandlungen geht es darum, ob wir eine stabile Regierung bilden können.

Wer käme denn als neuer Duzfreund infrage?
Es geht nicht um neue Freundschaften, sondern um gute Politik, damit sich die Lage der Menschen in Deutschland verbessert. In den Arbeitsgruppen arbeiten insgesamt mehr als 120 Sozialdemokraten hart dafür, möglichst viel vom Wahlprogramm der SPD umzusetzen.

Ist Ihr Vertrauen gewachsen, dass Sie mit der Union zu vernünftigen Ergebnissen kommen werden?
Vertrauen wächst nur langsam. Wir sind noch weit entfernt von einem Ergebnis, das wir den SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen können. Wir ringen noch um viele Punkte.

Was erschwert den Prozess?
In der Union ist eine Haltung des „Weiter so“ verbreitet nach dem Motto: Wir haben die Wahl gewonnen, deshalb muss sich wenig ändern. Mindestens die über elf Millionen Menschen, die die SPD gewählt haben, verlangen aber, dass sich in diesem Land etwas ändert. Sie wollen, dass es wirtschaftlich stark bleibt, aber auch gerechter wird. Das muss die Union akzeptieren, sonst beteiligen wir uns nicht an der Regierung. Wir sind nicht zum Nulltarif zu haben.

Und was lernen denn die Sozialdemokraten dazu?
Wir müssen mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass die Union nicht bereit ist, das Steuersystem so zu verändern, dass die ganz großen Vermögen und die ganz hohen Einkommen einen stärkeren Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens leisten. Wir haben einen unbestreitbaren Investitionsbedarf bei der Infrastruktur, im Bildungssektor und bei der Finanzierung der Kommunen. Das alles müssen wir unter Einhaltung der Schuldenbremse finanzieren.

Ist der Abbau von Subventionen eine Möglichkeit, Geld aufzutreiben?
Natürlich. Aber die Union ist dazu nicht bereit – Beispiel: Mövenpick-Steuer. Dieser Subvention haftet zudem der Makel der Klientelpolitik an. Ihre Streichung wäre deshalb auch ein wichtiges Signal, dass die Politik sich in Zukunft stärker am Gemeinwohl ausrichtet als an der Finanzkraft mächtiger Lobbygruppen.

Herr Oppermann, was sagen Sie zur Befürchtung, eine große Koalition werde in der Innenpolitik die Sicherheit über alles stellen und Liberalität preisgeben?
Die Befürchtung ist unbegründet. Wir Sozialdemokraten werden nicht zulassen, dass Sicherheit und Freiheit gegeneinander ausgespielt werden.

Woran lag es, dass sich die Fachgruppe Innenpolitik beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft nicht einigen konnte?
In dieser Frage sind viele in der Union noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Die Kritik an der doppelten Staatsangehörigkeit ist ein Relikt aus jener Zeit, in der die Union massiv bestritt, dass wir ein Einwanderungsland sind. Das muss sie jetzt zur Kenntnis nehmen. Der Schritt, aus unserer Einwanderergesellschaft eine Gesellschaft gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger zu machen, ist nur logisch.

Woran hapert es bei der Vorratsdatenspeicherung?
Wir wollen die sehr weitgehende EU-Richtlinie zur Speicherung von Verbindungsdaten überarbeiten und verändern. In der NSA-Affäre ist das Bedürfnis nach Datenschutz noch gewachsen. Dem müssen wir Rechnung tragen.

Hat sich Ihr Amerika-Bild verändert durch die Enthüllungen von Edward Snowden?
Ich glaube, wir sind alle ernüchtert. Trotzdem gilt: Wir verdanken Amerika viel, es ist unser wichtigster Bündnispartner. Aber wir müssen die Partnerschaft wieder auf die gemeinsame Wertebasis von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Herrschaft des Rechts zurückführen.

Lesen Sie hier mehr zu NSA, Snowden, Gabriels Rolle in der SPD und den Mitgliederentscheid

US-Außenminister John Kerry hat gerade erklärt, wie gern er Deutschland hat. Reicht das, um das Vertrauen wiederherzustellen?
Nein: Mit solchen Charmeoffensiven alleine kann die US-Regierung das beschädigte Vertrauen nicht wiederherstellen. Wir brauchen jetzt konkrete Vereinbarungen. Ein Antispionage-Abkommen zwischen Deutschland und den USA kann ein erster Schritt sein, die Partnerschaft wieder neu auszurichten.

Sie sind Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages für die Geheimdienste. Wie wollen Sie Snowden anhören?
Wir haben die Bundesregierung gebeten, eine Befragung von Edward Snowden in Moskau sorgfältig zu prüfen. Uns ist seine prekäre Lage sehr bewusst. Eine Befragung darf ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.

Wie würden die USA reagieren, wenn Deutschland Snowden einladen oder ihm gar Asyl gewähren würde?
Wir sollten Edward Snowden nicht einladen, wenn wir seine Sicherheit nicht hundertprozentig garantieren können. Wir müssen verantwortungsvoll abwägen, wie wir drei wichtige Ziele erreichen. Erstens geht es darum, die Ausspähungen aufzuklären und die schrankenlose Überwachung zu beenden. Es geht zweitens um eine humanitäre Lösung für Snowden. Und es geht drittens darum, das deutsch- amerikanische Verhältnis nicht zu ruinieren. Von einem nationalen Alleingang Deutschlands rate ich ab. Wir sollten uns mit unseren europäischen Partnern abstimmen. Am Ende ist Snowden nicht mit einseitigen Entscheidungen, sondern nur mit einer verhandelten Lösung gedient.

Im Sommer haben Sie Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hart kritisiert, als die beiden Snowdens Angaben als naiv abtaten. Nun reden Sie nicht mehr so hart. Ist das schon vorauseilender Gehorsam?
Ich habe von meiner harten Kritik überhaupt nichts zurückzunehmen. Wenn die Union nun endlich anerkennt, dass wir vor einem massiven Problem stehen, kann ich sie dafür nicht kritisieren. Es war naiv und leichtfertig, sich allein auf die Angaben der US-Geheimdienste zu verlassen.

Am Donnerstag trifft sich die SPD zu ihrem Parteitag. Ist es ein Problem, dass Sie nicht mit konkreten Verhandlungsergebnissen aufwarten können?
Der Termin des Parteitags liegt nicht günstig, war aber nach unserer Satzung nicht zu ändern. Trotzdem wird es ein guter Parteitag werden, auf dem wir nach zwei Wochen Koalitionsverhandlungen den Zwischenstand debattieren können.

Die große Koalition ist unter Sozialdemokraten denkbar unbeliebt. Wird Sigmar Gabriel das an seinem Wahlergebnis spüren?
Nein. Im Gegenteil. Ich erwarte, dass Sigmar Gabriel und Andrea Nahles beide sehr gute Ergebnisse erzielen werden. Am Ende wird sich die große Koalition für die SPD daran entscheiden, ob wir gute Ergebnisse beim Mindestlohn, in der Bildung und bei der doppelten Staatsbürgerschaft erzielen. Dann bin ich auch für den Mitgliederentscheid optimistisch.

Vor wenigen Monaten sägten in der SPD manche an Gabriels Stuhl. Ist das vorbei?
Sigmar Gabriel hat die SPD nach der Bundestagswahl sehr besonnen und klug durch ein schwieriges Gelände gesteuert. Die Idee, die Mitglieder über eine Regierungsbeteiligung abstimmen zu lassen, war absolut richtig. Ohne Mitgliederentscheid wäre eine große Koalition in jedem Fall eine Zerreißprobe geworden. So haben wir die Chance, mit einem Votum der Mitglieder eine Beteiligung der SPD an der Regierung zu legitimieren. Und ich bin optimistisch, dass wir nach einer guten Regierungsarbeit 2017 gut aus einer großen Koalition kommen.

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

Zur Person: Thomas Oppermann

Kommunikator:

Mehr Schlagzeilen als Thomas Oppermann produzieren nur wenige in der SPD. Mit klaren Urteilen und zugespitzten Formulierungen ist der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion häufig in den Medien präsent.

Pragmatiker:

Dass Politik die Gesellschaft verändern kann, lernte Oppermann als Freiwilliger bei der Aktion Sühnezeichen in den USA. Fünf Jahre war er Wissenschaftsminister in Niedersachsen (1998 bis 2003).

Anwärter

Der Jurist gilt als sicherer Anwärter auf ein Ministeramt in der sich anbahnenden großen Koalition. Erstes Ziel ist das Innenressort, falls es an die SPD fällt.

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