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Politik: Mit vielen Stimmen

Der Gipfel des südamerikanischen Staatenbundes Mercosur offenbart die Zerrissenheit des Kontinents

Einigkeit und Integrationsfähigkeit wollten die Präsidenten des Gemeinsamen Südamerikanischen Marktes (Mercosur) bei ihrem Gipfeltreffen in Rio de Janeiro demonstrieren. Doch es kam anders: Während draußen Tausende von Polizisten und Militärs die hohen Staatsgäste bewachten und versuchten, wenigstens für den zweitägigen Gipfel die Kriminellen in der brasilianischen Stadt unter Kontrolle zu halten, flogen am Freitag im luxuriösen Copacabana Palace-Hotel die Fetzen.

Die Staatschefs von Kolumbien, Alvaro Uribe, und Bolivien, Evo Morales stritten, ob Privatisierungen oder Verstaatlichungen wirtschaftlich sinnvoller seien. Uruguay und Argentinien diskutierten über den Papierkrieg am Rio de la Plata – den geplanten Bau zweier Papierfabriken auf uruguayischer Seite, der die argentinischen Umweltschützer auf den Plan gebracht hat. Paraguay und Uruguay beschwerten sich einmal mehr, von den beiden Großmächten des Blocks, Argentinien und Brasilien, unterdrückt zu werden.

Uruguays Präsident, Tabaré Vásquez, sagte gar, der Mercosur sei zum Tode verurteilt, wenn es nicht bald gerechtere Handelsbedingungen gebe. Ähnlich denkt auch Venezuelas Präsident Hugo Chavez, der die bestehenden Bündnisse der Region als neoliberal gebrandmarkt hat und deshalb bereits die Mitgliedschaft seines Landes im Andenpakt aufkündigte.

Dem 1991 gegründeten Mercosur gehören Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und Venezuela an; Bolivien, Chile, Peru, Ecuador und Kolumbien sind assoziiert. Doch wo nach europäischem Vorbild zunächst eine Freihandelszone, dann eine Zollunion und später ein gemeinsamer Markt entstehen sollte, wird seit langem erbittert gestritten. Der Gipfel hat indes gezeigt, dass der vielzitierte Linksruck in Lateinamerika eine recht oberflächliche Sichtweise ist, hinter der sich eine ganze Reihe ideologischer, wirtschaftlicher und politischer Differenzen verbergen. Handelshemmnisse und Ausnahmeregelungen haben den Vertrag aufgeweicht. Protektionismus und Nationalismus erwiesen sich als stärker als supranationale Integrationsbestreben und linke Beschwörungsformeln von regionaler Einheit.

Zu diesem Problem kommt nun noch die Rivalität zwischen Brasilien und Venezuela über die Führungsrolle in Lateinamerika hinzu. Brasilien sieht durch Venezuela seine mühsam vorangetriebenen Integrationsbemühungen gefährdet. Denn Chavez beschwört zwar pathetisch die südamerikanische Einheit, sabotiert jedoch systematisch bestehende Bündnisse. Nach dem Austritt Venezuelas aus dem Andenpakt prophezeite er auch dem Mercosur und der von Brasilien vorangetriebenen Südamerikanischen Gemeinschaft den Niedergang, sollten sie sich nicht rasch „in den Dienste des Volkes“ stellen. Chavez propagiert stattdessen die Bolivarische Alternative für Amerika (Alba) und will eine Bank des Südens schaffen – ein Vorhaben, das Brasilia rundheraus ablehnt. Chavez kann inzwischen jedoch nicht mehr nur mit Kuba, sondern auch mit Ecuador, Bolivien und Nicaragua als Verbündeten rechnen und hat dadurch derart Rückenwind, dass Brasiliens Präsident Luiz Inacio „Lula“ da Silva auf Distanz zum einstigen Busenfreund geht. Man könne nicht alle Länder über einen Kamm scheren; Unterschiede müssten akzeptiert werden, mahnte Lula und rief dazu auf, Eigeninteressen im Sinne der Integration hinten anzustellen.

Zu guter Letzt wurde beim 32. Gipfeltreffen des Mercosur in Rio dann doch noch ein Minimalkonsens gefunden: Paraguay und Uruguay bekommen 72 Millionen Dollar aus dem neu geschaffenen Strukturfonds, der erste Bauabschnitt der Gaspipeline von Venezuela nach Brasilien wurde bewilligt und der Aufnahmeantrag Boliviens an eine Kommission weitergeleitet. Trotz aller Probleme will sich der Mercosur zudem nicht nur auf Wirtschafts- und Handelsfragen beschränken, sondern auch gesellschaftspolitisch wirken. Dazu wurde in Rio eine soziale Integration angekündigt.

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