Politik: Moscheen als Exportschlager
Der Iran unterstützt die Schiiten in Syrien – und löst Unmut aus
Im Westen Syriens, irgendwo zwischen Autobahn und Küste, liegt Misjaf, ein ärmlicher Ort mit 30 000 Einwohnern. Die nüchterne Fassade der schiitischen Moschee „Arrassoul al A’tham“ fällt in der Monotonie nicht auf. Und dennoch hat sie die Strukturen des Dorfes nachhaltig verändert: Vor sieben Jahren ist die Moschee mit iranischer Finanzierung entstanden, berichten Anwohner – obwohl kaum Schiiten in Misjaf lebten. „Vor zehn Jahren waren wir 20 Leute und haben uns zum Beten in unseren Häusern getroffen“, erinnert sich ein 34-jähriger zur Schia Konvertierter. Heute soll die Zahl der Schiiten auf 2000 angewachsen sein. Die Schia, eine Grundrichtung des Islam, herrscht im Iran vor, in Syrien dagegen sind die Sunniten in der Mehrheit.
Früher gab es hauptsächlich Ismaeliten und Alawiten in Misjaf – Sekten, die der orthodoxen Schia nahestehen. Zudem sei das Dorf weitgehend säkular gewesen, sagt ein ismaelitischer Architekt: „Die Leute haben sich nicht sehr für Religion interessiert, daher hat ihnen eine Organisation gefehlt, die Zusammenhalt stiftet.“ Nun arbeitet in der schiitischen Moschee der einzige studierte Theologe im Ort, ein Konvertit. Es werden Kurse und Vorlesungen organisiert, Schulen und Hospitäler bezuschusst, Spenden an Arme verteilt.
Strategisches Kalkül führte Syrien Anfang der 80er mit dem Iran zusammen. Internationale Bedrängnis hat die Bindung vertieft: Als Syrien vor zwei Jahren unter Verdacht geriet, für den Mord am libanesischen Ex-Premier Rafik Hariri verantwortlich zu sein, stellte sich allein Teheran hinter Damaskus. Doch in Syrien regen sich Bedenken, dass der Iran die Allianz zum Export seiner Ideologie nutzt: Vielerorts hat das Land bereits schiitische Moscheen errichten lassen. „Das ist eine politische Idee“, sagt ein westlicher politischer Analyst, der anonym bleiben will: „Erst steht die Moschee, dann kommen Pilger, schließlich entwickelt sich eine ganze Wirtschaft drum herum – mit Schulen, Stipendien und Konversionsarbeit, die auf arme Sunniten abzielt.“ Berichte über erkaufte Konversionen häufen sich: Ein Experte aus arabischen Diplomatenkreisen schildert, dass Bauern für einen Übertritt zur Schia 200 Dollar geboten werden, einflussreicheren Männern bis zu 1000 Dollar.
Syriens Bevölkerung ist zu über 70 Prozent sunnitisch, Schiiten kommen auf etwa ein Prozent. Über die Menge der Konversionen gibt es keine Zahlen. Experten gehen zwar von geringen Ausmaßen aus, doch die Syrer nehmen die Entwicklung überdimensional wahr. „Die Leute machen sich Sorgen“, sagt eine Journalistin aus Damaskus. „Sogar das Wort ,Schiitisierung‘ macht die Runde.“ So könnte die Bindung an den Iran konfessionelle Spannungen schüren – zumal Präsident Baschar al Assad als Alawit selbst einer schiitischen Sekte angehört und riskiert, die sunnitische Mehrheit zu befremden.
Indes wird im Westen eine neue Annäherung an Syrien gefordert, um die Achse Damaskus–Teheran zu spalten. Doch der Iran arbeitet hart an der Freundschaft: Pro Woche reisen zwei bis drei iranische Delegationen an; es bestehen weitreichende Abkommen. Bald werden in der Niederlassung eines iranischen Herstellers die ersten in Syrien gefertigten Autos vom Band rollen; etwa 100 gemeinsame Wirtschaftsprojekte sind in Planung. „Der Iran investiert viel Geld, um Syrien zu überzeugen, dass er die Wirtschaftshilfe aus dem Westen ersetzen kann“, sagt der Analyst Marwan Kabalan. Denn der Iran, wenngleich der stärkere Partner, ist im Streben nach Einfluss in Nahost auf seinen einzigen arabischen Verbündeten angewiesen. Zudem ist Syrien die logistische Brücke zur Hisbollah im Libanon und das Bindeglied zur – sunnitischen – Hamas in Palästina.
Gabriela M. Keller[Misjaf]