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München nach dem Anschlag: Diese Tat wird lange nachhallen
Der Attentäter von München war offenbar deutlich besser integriert als man es anfangs angenommen hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft spricht von einer „islamistischen Tatmotivation“.
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Das stille Gedenken an die Opfer des Anschlags von München dauert sechs Minuten. Um 10.01 Uhr kommen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sowie Innenminister Joachim Herrmann (auch CSU) am Freitagmorgen gemessenen Schrittes von der Marsstraße in der Münchner Maxvorstadt und biegen nach rechts in die Seidlstraße ein. Alle drei sind in Schwarz gekleidet und tragen jeweils eine weiße Rose in der Hand.
Es ist jetzt ruhig an dieser Stelle, an der knapp 24 Stunden zuvor der 24-jährige Afghane Farhad N. mit seinem Mini Cooper von hinten in die Teilnehmer einer Demonstration der Gewerkschaft Verdi gerast war. 1500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes waren gekommen, um für höhere Gehälter zu demonstrieren.
36 Menschen wurden nach jetzigem Stand durch den Anschlag verletzt, zwei davon „schwerst“, wie die Polizei mitteilt, darunter ein zwei Jahre altes Kleinkind. Am Donnerstagabend noch hatten sich Hunderte zum Gedenken am nahen Königsplatz versammelt.
Steinmeier und Söder legen ihre Blume auf einen Kranz am Gehweg, verharren, Söder nimmt seinen Hut ab. Es folgen Herrmann und Reinhard Marx, Erzbischof der Diözese München-Freising. Niemand sagt etwas. Sie gehen wieder weg, wenig später rollen die schwarzen gepanzerten Limousinen davon, eskortiert von viel Polizei.
Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da.
Farhad N. in einem Chat
Diese Tat wird lange nachhallen in der bayerischen Metropole und in ganz Deutschland. Eine Verdi-Delegation aus einem Dutzend Menschen legt einen Blumenstrauß nieder, sie tragen Gewerkschaftsjacken mit der Aufschrift „Zusammen geht mehr“, und sie umarmen sich.
Wer war der Täter? Und vor allem: Warum beging er die Tat? Wenig später versuchen die Behörden im Polizeipräsidium neben der Frauenkirche nähere Auskünfte zu geben. Gabriele Tilmann von der Zentralstelle Extremismus der Generalstaatsanwaltschaft spricht von einer „islamistischen Tatmotivation“.
Der Täter habe nach dem Attentat gebetet und gegenüber Polizisten „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) gerufen, ein auch von Islamisten verwendeter Satz. Verbindungen zu Terrororganisationen wie dem IS konnten aber bislang nicht festgestellt werden.
Die Auswertung etwa seines Handys habe ergeben, dass er religiös sei, auch besuchte er eine Moschee. Der Polizei hat er bislang gesagt, dass er bewusst in die Menge reingerast sei. Ein Arbeitskollege meinte zur Polizei, so berichtet Landeskriminalamts-Vize Guido Limmer, dass Farhad N. die letzte Zeit „etwas durch den Wind“ gewesen sei. In einem Chat hat er laut Polizei Angehörigen geschrieben: „Vielleicht bin ich morgen nicht mehr da.“
„Chaosphase“ sorgt für Falschinformationen
Einige Falschinformationen vom Vortag korrigierten die Behörden. Diese seien in der „Chaosphase“ entstanden, wie Münchens Vize-Polizeipräsident Christian Huber sagt. So hatte Farhad N. keine Duldung und wäre ausreisepflichtig gewesen, wie ursprünglich von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann verbreitet wurde.

© Screenshot: Instagram / Bearbeitung: Tagesspiegel
Vielmehr besaß er eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und eine so genannte Fiktionsbescheinigung. Er war legal im Land, durfte aus- und wieder nach Deutschland einreisen.
Auch war er weder wegen Drogendelikten noch wegen Ladendiebstahls polizeibekannt. Diese Infos waren laut Huber eine Verwechslung: Der Täter war bei einem Sicherheitsdienst angestellt und wurde auch als Ladendetektiv eingesetzt. Bei Gerichtsverfahren war er als Zeuge von Diebstählen geladen und auch, wenn er Drogendelikte beobachtet hatte. Lediglich ein Verfahren wegen missbräuchlichem Bezug von Arbeitslosengeld sei gegen eine Geldbuße eingestellt worden.
Alles in allem zeigt sich bisher: Der Attentäter war offenbar deutlich besser integriert als man es anfangs angenommen hatte. Schon 2016 war er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Die Vernehmungen finden auf Deutsch statt, woraus zu schließen ist, dass er gute Sprachkenntnisse besitzt. Seine Freizeit verbrachte er viel im Fitnessclub, im Internet posierte er als Bodybuilder und „Fitness-Modell“.
Die Ermittler schließen aus, dass das Attentat mit der am Freitag begonnenen Münchner Sicherheitskonferenz in Zusammenhang steht. In deren Umfeld sind am Samstag insgesamt 15 Demonstrationen angemeldet, einige davon als Züge durch Teile der Stadt.
Die Polizei spricht nun mit den Veranstaltern, diese Züge abzusagen oder zu verkürzen und stattdessen auf einem Platz zu bleiben. „So lässt sich das von uns wesentlich besser sichern“, sagt Christian Huber.
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