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Musterung statt Los für alle jungen Männer: Bundesregierung steht vor Wehrdienst-Einigung
Ein Streit zwischen dem Verteidigungsminister und den Regierungsfraktionen gefährdete zwischenzeitlich den Start des neuen Wehrdienstes zum 1. Januar. Nun ist ein Kompromiss da.
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Kompromiss im zweiten Anlauf: Nach dem Eklat vor vier Wochen, als Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in letzter Minute einer Einigung der Fraktionen auf ein neues Wehrdienstgesetz seine Zustimmung verweigert hatte, steht die schwarz-rote Koalition nun kurz vor dem Abschluss ihrer Gespräche.
Zu der erwarteten Verständigung äußerte sich Pistorius in Münster bei einem Truppenbesuch „sehr, sehr optimistisch, weil wir uns annähern“. Ihr stünden nur noch Detailfragen im Weg, sagte Thomas Röwekamp (CDU), der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Er glaube, „dass das noch in dieser Woche gelingt“.
Kern des Kompromisses ist, dass den Bedenken des Verteidigungsministeriums hinsichtlich eines Losverfahrens im Musterungsprozess entsprochen wurde. Die Verhandlungsgruppe mit Norbert Röttgen (CDU), Thomas Erndl (CSU), Siemtje Möller und Falko Droßmann (beide SPD) hat das von ihnen zuerst favorisierte Zufallsprinzip „zugunsten einer flächendeckenden Musterung gestrichen“, wie es am Montag aus der Unionfraktion gegenüber dem Tagesspiegel hieß.
Keine 5000 Stellen mehr für die Musterung nötig
Damit tragen Union und SPD die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Musterung eines ganzen Jahrgangs junger Männer von Mitte 2027 an mit. Robert Sieger, Präsident des Bundesamts für das Personalmanagement der Truppe, erläuterte die Pläne am Montag in einer Anhörung des Ausschusses.
Für eine flächendeckende Musterung sei heutzutage „etwas weniger als die Hälfte“ der rund 5000 Stellen notwendig, die vor der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 in bundesweit 52 Kreiswehrersatzämtern diese Aufgabe erfüllt hätten.
Röttgen sagte, der Union sei „vor allem wichtig, dass wir einen schnelleren Einstieg in die Musterungen bekommen“, darüber werde nun im Detail beraten. Möller wies darauf hin, dass schon nach dem Rücklauf der ersten Fragebögen an alle 18-Jährigen im kommenden Jahr mit der Eignungsprüfung begonnen werde.
Der Minister setzt vollständige Wehrerfassung durch
Trotz der großen Personallücke benötigt die Bundeswehr nur einen kleinen Teil eines Jahrgangs von gut 300.000 jungen Männern. Dass trotzdem alle von ihnen gemustert werden sollen, erklärt Pistorius mit der nie beendeten Wehrpflicht im Verteidigungsfall; es gehe darum, auch dann „handlungsfähig sein zu können und wirklich zu wissen, wer ist denn überhaupt in der Lage, eingezogen zu werden“.
Eine Annäherung gab es nach Angaben des verteidigungspolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Thomas Erndl, auch beim sogenannten „Aufwuchspfad“. So sollen nun konkrete Zahlen in das Gesetz hineingeschrieben werden: Wenn sich dann weniger junge Menschen freiwillig bei der Bundeswehr melden, soll es zu einer verpflichten Heranziehung kommen. In diesem Fall soll unter den jungen Menschen mit den notwendigen Qualifikationen auch weiterhin gelost werden.
Dieses Land ist nicht in der Lage, die Besatzung für sechs U-Boote zu stellen.
Der Historiker Sönke Neitzel zum Personalmangel der Bundeswehr
Anders als von Pistorius gewünscht, sollen die neuen Wehrdienstleistenden nicht sofort den Status von „Soldaten auf Zeit“ bekommen. In der Anhörung empfahl auch der Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, eine eigene Status-Kategorie für die Wehrdienstleistenden beizubehalten.
Verschiedene Sachverständige übten am Montag teils grundsätzliche Kritik an den Plänen. Quentin Gärtner von der Bundesschülerkonferenz etwa kritisierte, die Kommunikation rund um das Losverfahren sei ein „Desaster“ gewesen und habe junge Menschen stark „verunsichert“. Wenn der Staat einen Wehrdienst von ihnen fordere, könnten sie auch mehr Investitionen in Bildung verlangen.
Der Militär-Historiker Sönke Neitzel nannte den bisher vorgelegten Gesetzentwurf ohne die Änderungen der Fraktionen „nicht bedrohungsgerecht“. Das Signal, das damit nach Moskau gesendet werde, sei „nicht gerade eines der Stärke“.
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