zum Hauptinhalt
Seine Fans sind noch da, und auch sonst hat er Spuren hinterlassen. Wie umgehen mit der Ära Trump?

© Bryan R. Smith, AFP

Nach der US-Wahl: Amerika muss jetzt ent-trumpifiziert werden

Mögliche Straftaten in der Amtszeit und zig Normverletzungen: Die Amtszeit Trumps muss jetzt juristisch aufgearbeitet werden. Ein Gastbeitrag.

Jan-Werner Müller ist Professor für Politologie an der Universität Princeton,Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin (Institute of Advanced Study) und Verfasser des in Kürze erscheinenden Buches Democracy Rules (Farrar, Straus und Giroux, 2021). Copyright: Project Syndicate, 2020. Aus dem Englischen von Jan Doolan. www.project-syndicate.org

Unter Demokraten und vielen Republikanern besteht eine große Versuchung, die Regierung von US-Präsident Donald Trump als bizarre Anomalie zu betrachten. Genau wie die Republikaner versuchen können, die vielen Fehltritte der letzten vier Jahre auf Trump zu schieben – in der Hoffnung, dass ihre eigene Rolle, die ihm diese ermöglicht hat, schnell in Vergessenheit gerät –, könnten die Demokraten danach streben, ostentativ demokratische Normen zu beachten, indem sie gütig davon absehen, Gerichtsverfahren in Bezug auf Vergangenes anzustrengen.

In diesem Fall würden Trump und seine Regierung, sollte Joe Biden aus der Auszählung der Wahl vom 3. November als Sieger hervorgehen, vermutlich für ihre ungeheuerliche Korruption, Grausamkeit und Missachtung grundlegender Verfassungsprinzipien nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Ganz abgesehen vom politischen Kalkül haben viele Beobachter – vom ehemaligen demokratischen Präsidentschaftsanwärter Andrew Yang bis hin zu renommierten Juristen und Historikern – argumentiert, nur schäbige Diktaturen würden ihre besiegten Gegner verfolgen. Auch US-Justizminister Bill Barr hat, mit allzu offensichtlichen eigenen Motiven, geäußert, dass „es nicht zu einer reifen Demokratie gehört, dass die politischen Gewinner die politischen Verlierer rituell strafrechtlich verfolgen“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Doch diese Generalisierungen sind überhastet. Man sollte Trumps 2016 gegen Hillary Clinton gerichteten Slogan „Lock her up“ (Sperrt sie ein) nicht mit „Lock him up“ (Sperrt ihn ein) beantworten. Doch ist „Vergeben und Vergessen“ nicht die einzige Alternative.

Was ist mit den Grausamkeiten an der mexikanischen Grenze?

Die Amerikaner müssen zwischen drei Themenkomplexen unterscheiden: Verbrechen, die Trump womöglich vor Amtsübernahme begangen hat, der Korruption und den Grausamkeiten Trumps und seiner Spießgesellen während Trumps Amtszeit, und Verhaltensweisen, die strukturelle Schwächen innerhalb des weiteren politischen Systems der USA aufgedeckt haben. Sie alle erfordern jeweils eine etwas andere Reaktion.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Historisch ist der Übergang vom Autoritarismus – oder die Erholung von einem Verfall der Demokratie – in vielen anderen Ländern durch eine Bereitschaft gekennzeichnet, ehemalige Machthalter ungestraft davonkommen zu lassen. Laut Angaben der Politologin Erica Frantz haben 59 Prozent der abgesetzten autoritären Führer anschließend „ihr normales Leben weiterlebt“. 

Trotzdem haben neue oder wiederhergestellte Demokratien in Fällen, in denen sie ehemalige Amtsträger nicht strafrechtlich verfolgten, häufig Wahrheitskommissionen eingesetzt und den Tätern im Austausch gegen wahrheitsgemäße Informationen und Geständnisse Amnestie gewährt. Am besten bekannt ist dieser Ansatz aus Südafrika im Gefolge der Apartheid.

Schamlose Vetternwirtschaft und Korruption

Die Besonderheit der aktuellen Situation in den USA ist, dass gegen Trump bereits wegen möglicher Straftaten ermittelt wird, die mit seiner Präsidentschaft nichts zu tun haben. Sowohl die Staatsanwaltschaft von Manhattan als auch der Justizminister des Staates New York ermitteln gegen die Trump Organization wegen verschiedener Betrugsdelikte. 

Obwohl vordergründig unpolitisch, ließen Trumps Geschäftspraktiken die schamlose Vetternwirtschaft und Korruption seiner Präsidentschaft bereits vorausahnen und überschatteten sie. Er hat es nicht geschafft, die USA komplett in einen Ungarn unter Viktor Orbán vergleichbaren Mafiastaat zu verwandeln, aber dies ist weitgehend nebensächlich.

[Mehr zum Thema: Er lügt und sie jubeln - warum viele Amerikaner zum Präsidenten halten, trotz allem]

Darüber hinaus gilt: Ließe man die Ermittlungen gegen die Trump Organization bei seinem Ausscheiden aus dem Amt einfach fallen, würde der Vorwurf, sie seien rein politisch motiviert gewesen, gerechtfertigt erscheinen, insbesondere da die fraglichen Strafverfolger nun einmal Demokraten sind.

Die Gefahr: Trumps waffenstarrende Anhänger

Sollten die Ermittlungen andererseits in eine Haftstrafe ihres ehemaligen Präsidenten münden, könnten Trumps waffenstarrende Anhänger entscheiden, das Recht in eigene Hände zu nehmen; zumindest würde sich die politische Spaltung des Landes noch vertiefen.

Man muss diese Risiken im Hinterkopf behalten. Doch gibt es im Prinzip keinen Grund, warum ein politischer Führer für von ihm begangene Verbrechen nicht seine gerechte Strafe erhalten kann. Vielen ist es so ergangen, und einige sind danach sogar wieder ins politische Leben zurückgekehrt. 

Der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi musste nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung gemeinnützige Arbeit leisten (wegen seines Alters erhielt er eine mildere Strafe), heute sitzt er im Europaparlament.

Die systematische Grausamkeit der Trump-Regierung

Dann ist da die Frage von Trumps tatsächlicher Bilanz im Amt. Man kann eine Menge anstößiger Politiken finden, doch wäre es falsch, aufzugeben, was Präsident Thomas Jefferson nach seinem Sieg über seinen Erzrivalen John Adams 1801 als „die Sicherheit, mit der ein Meinungsirrtum toleriert werden kann, wo der Vernunft freier Lauf gelassen wird, ihn zu bekämpfen“ bezeichnet hat.

Dasselbe lässt sich nicht über die Korruption und systematische Grausamkeit sagen, die die Trump-Regierung in ihrer Reaktion auf die Covid-19-Krise und bei der Trennung von Kindern von ihren Eltern an der Grenze gezeigt hat. Wie Juraprofessor Mark Tushnet von der Universität Harvard nahegelegt hat, sollte eine Untersuchungskommission eingerichtet werden, um Politiken und Maßnahmen zu untersuchen, die über Inkompetenz hinaus und in den Bereich politisch motivierter Böswilligkeit hinein reichten. 

Es ist wichtig, dass wir diese Ereignisse ordnungsgemäß dokumentieren – vielleicht indem wir anbieten, im Austausch gegen ehrliche Aussagen Milde walten zu lassen. Letzteres sollte helfen, über Strukturreformen nachzudenken, um nach dem Prinzip des Quidproquo ablaufende Korruption und eklatante Menschenrechtsverstöße weniger wahrscheinlich zu machen. 

Finanzielle Intransparenz, Twitter-Beschimpfungen - Trump verstieß gegen viele Normen

Abschließend hat Trump gegen eine Menge informeller Präsidentschaftsnormen verstoßen. Das reicht vom relativ Trivialen – Beschimpfungen auf Twitter – bis hin zu Schwerwiegendem: dass er seine Steuererklärungen nicht zugänglich gemacht hat. Wie viele US-Juristen argumentiert haben, würde eine weise Reaktion hierauf darin bestehen, eine gesonderte Kommission einzusetzen, um die strukturellen Schwächen der Präsidentschaft zu prüfen.

Eine derartige Untersuchung wird womöglich feststellen, dass viele informelle Normen – von finanzieller Transparenz bis hin zu den Beziehungen zum Justizministerium – kodifiziert werden müssen. An diesem Ansatz wäre nichts Rachsüchtiges. Nach Watergate verabschiedete der Kongress eine Reihe wichtiger Ethikgesetze, die beiden Parteien tendenziell akzeptierten.

Dieser dreigleisige Ansatz muss uns nicht von dringenderen Regierungsaufgaben ablenken. Vielleicht muss man etwas politisches Kapital dafür aufwenden. Doch könnten die Kosten, wenn man nichts tut oder forsch-fröhlich zur Tagesordnung übergeht, sogar noch höher sein. So war das vermutlich nach Gerald Fords Begnadigung Richard Nixons (der seine Schuld nie wirklich eingestanden hat), und auch im Falle der Milde, die nach dem Iran-Contra-Skandal und in Bezug auf die im „Krieg gegen den Terror“ der Regierung von George W. Bush weithin verübte Folter geübt wurde.

Natürlich könnten sich eine Menge Republikaner mit Händen und Füßen gegen um Wahrheit bemühte Maßnahmen sträuben. Doch andere könnten eine um die Verbesserung der US-Institutionen bemühte öffentliche Untersuchung nutzen, um sich von Trump zu distanzieren. Schließlich haben sie sich bereits als nichts weniger als opportunistisch erwiesen. 

Jan-Werner Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false