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Politik: Nach misslungenen Reformen und Affären nun schwere Vorwürfe gegen Innenminister Janusz Tomaszewski

Polens konservative Regierung kann sich nicht von den Schatten der kommunistischen Vergangenheit befreien. Nach den bislang unbestätigten Vorwürfen gegen Ministerpräsident Buzek fiel der Verdacht langjähriger Spitzeltätigkeit nun auf Innenminister Janusz Tomaszewski, dem sämtliche Geheimdienstarchive unterstehen.

Polens konservative Regierung kann sich nicht von den Schatten der kommunistischen Vergangenheit befreien. Nach den bislang unbestätigten Vorwürfen gegen Ministerpräsident Buzek fiel der Verdacht langjähriger Spitzeltätigkeit nun auf Innenminister Janusz Tomaszewski, dem sämtliche Geheimdienstarchive unterstehen. Die Bilanz der Regierung nach Ablauf der halben Amtszeit ist fatal: Misslungene Reformen und Affären lassen die Popularitätsraten in den Keller sinken.

Die politsche Saison in Polen begann mit einem Skandal: Ministerpräsident Jerzy Buzek akzeptierte den Rücktritt des stellvertretenden Verteidigungsministers Robert Mroziewicz. Der langjährige Solidarnosc-Aktivist und geschätzte Diplomat des demokratischen Polen musste seine politische Karriere beenden, weil bekannt wurde, dass Lustrationsrichter Boguslaw Nizienski - der seit Anfang dieses Jahres amtierende "polnische Gauck" - ein Verfahren vor dem Lustrationsgericht eingeleitet hatte. Das bedeutet, dass Verdachtsmomente vorliegen, wonach Mroziewicz entgegen seiner öffentlich abgegebenen "Lustrationserklärung" für den kommunistischen Geheimdienst tätig gewesen sein könnte.

Aber dieser Fanfarenstoß, der die Glaubwürdigkeit der mit hohem moralischen Anspruch angetretenen Solidarnosc-Regierung bereits merklich beschädigte, erwies sich nur als erstes Signal für einen heißen Herbst. Offenbar stehen zahlreiche weitere Lustrationsprozesse gegen hochrangige Politiker unmittelbar bevor. Am Samstag meldete die angesehene konservative Zeitung "Rzeczpospolita" auf der ersten Seite, dass ein weiteres Verfahren gegen Innenminister und Vizepremier Janusz Tomaszewski in Vorbereitung sei. Sein Rücktritt sei nur noch eine Frage weniger Tage. Andere Medien wiederholten diese Informationen und berichteten, dass auch andere namhafte Personen kurz vor der Anklage stünden.

Gegen Tomaszewski wurden schon seit über einem Jahr immer wieder Verdachtsmomente laut. Insbesondere die Satirezeitschrift "Nie" veröffentlichte detaillierte Informationen, wonach der ehemalige Solidarnosc-Aktivist in seiner Heimatstadt Lodz jahrelang Spitzeldienste für das kommunistische Regime geleistet haben soll. Dennoch hatten Beobachter bislang nicht an den Rücktritt dieses mächtigsten Mannes innerhalb der polnischen Regierung geglaubt, da ihm nicht nur ein Großteil der staatlichen Verwaltung, sondern auch Polizei, Geheimdienste und sämtliche Archive unterstehen. Als im Frühjahr Vorwürfe gegen Premier Buzek laut wurden, endete der drohende Skandal mit der Behauptung, dass die von Kritikern mit genauer Nummerierung zitierten belastenden Akten "nicht existierten".

Aber damit nicht genug der Probleme, mit denen sich die Regierung Buzek zur Halbzeit ihrer Amtsperiode konfrontiert sieht. Bissige Kommentare löste auch der verspätete Rücktritt des Familienbeauftragten Kazimierz Kapera aus; der konservative Politiker hatte in der Vergangenheit eine Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen torpediert, Homosexuelle als "abartig" bezeichnet und zuletzt die Polen zum Kinderkriegen aufgerufen, "damit die weiße Rasse auch in Zukunft gegenüber der gelben etwas zu sagen hat". Erst nach langer Kritik seitens der Opposition und des kleineren Koalitionspartners entschied sich Buzek, den umstrittenen Politiker durch eine Frau mit nahezu identischen Ansichten zu ersetzen.

Der Hauptgrund, warum die Popularitätsraten der Regierung in den Keller sinken, dürfte allerdings die misslungene Gesundheitsreform sein. Der Versuch der Patienten, gesetzlich garantierte ärztliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, gleicht derzeit vielerorts einem bürokratischen Spießrutenlaufen. Im Ergebnis liegt die regierende AWS (Wahlaktion Solidarnosc) derzeit mit 23 Prozent Zustimmung weit hinter dem oppositionellen Linksbündnis, welches momentan mit 36 Prozent der Wählerstimmen rechnen kann. Diese Umfrageergebnisse tragen dazu bei, dass der Ruf nach einer einschneidenden Kabinettsumbildung immer vernehmlicher wird.

Der Rücktritt Tomaszewskis, dieses mächtigen Mannes, dem neben Polizei und Geheimdiensten auch npch ein Großteil der Verwaltung des zentralistisch strukturierten polnischen Staats unterstehen, ist wohl wirklich nur noch eine Frage der Zeit.

Edith Heller

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