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Politik: Nach uns die Sintflut?

Von Richard Schröder

Wählerschelte ist verpönt. Tatsächlich ist es ein albernes Schauspiel, wenn Parteien nach verlorener Wahl beklagen, dass die Wähler sie nicht richtig verstanden haben. Das hätten sie vorher verhindern können. Aber sind wir, die Wähler mit unseren Erwartungen tatsächlich über alle Kritik erhaben?

Parteienschelte gehört bei uns zum guten Ton. Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien ist so groß, dass regelmäßig Exoten Blitzerfolge erzielen, bisher vorzugsweise im Osten, wie die DVU seinerzeit in SachsenAnhalt und die NPD kürzlich in Sachsen. Jetzt holt der Westen auf, denn die Zuwachsrate der LinksparteiPDS ist in Ost und West fast gleich. Die etablierten Parteien stecken in einer Klemme. Sagen sie, was geschehen muss, damit wir unsere Verhältnisse wenigstens so weit in Ordnung bringen, wie sie einige unserer Nachbarn in Ordnung gebracht haben, fürchten sie, nicht gewählt zu werden. Sagen sie, was die Wähler hören wollen, werden sie zum wiederholten Male unerfüllbare Versprechen abgeben, nämlich für jeden vom Guten etwas mehr als bisher – und erneut

enttäuschen.

Worauf es jetzt ankommt, hat der Bundespräsident in seiner Rede vom 21. Juli in bestechender Kürze aufgezählt. Millionen sind arbeitslos. Die Staatshaushalte sind in katastrophalem Zustand. Unsere föderale Ordnung ist aus dem Gleichgewicht geraten. Wir haben immer weniger Kinder und werden immer älter. Wir müssen uns im globalen Wettbewerb behaupten. „Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel.“

Nun sollte man erwarten, dass die Wähler die Parteien fragen, wie sie diese Probleme lösen wollen. Die Reformvorschläge, die bisher gemacht worden sind, sind aber ausnahmslos nach dem Kriterium zensiert worden, ob sie jemanden schlechter stellen als bisher. Und dieses Kriterium gilt als sozial. Reformen, so die allgemeine Wählererwartung, sind dann gelungen, wenn wir hinterher mehr in der Tasche haben. Das konnte nur funktionieren, solange Zuwächse zu verteilen waren. Als die ausblieben, haben wir weiter verteilt – auf Pump. Und das ist jedenfalls asozial, nämlich die Ausbeutung derer, die sich überhaupt nicht wehren können, unserer Kinder und Enkel, mittels wachsender Staatsschulden, die wir ihnen aufzwingen, indem wir sie ihnen hinterlassen.

Solange wir Reformen vor allem danach beurteilen, ob wir hinterher mehr in der Tasche haben, werden wir die Reformen nicht bekommen, die wir brauchen. Wir brauchen für die öffentlichen Kassen, für Rente und Gesundheitsvorsorge Reformen, die sicherstellen, dass am Jahresende die Einnahmen die Ausgaben decken und das alle Jahre wieder. Und wir brauchen Reformen, die die Nachfrage nach Arbeit erhöhen, zum Beispiel durch Senkung der Lohnnebenkosten, indem ein Teil der Sozialkosten nicht aus lohnabhängigen Beiträgen, sondern aus indirekten Steuern finanziert wird.

Früher hieß es: „Unsern Kindern soll’s mal besser gehen.“ Jetzt scheint zu gelten: „Nach uns die Sintflut.“

Richard Schröder ist Professor für Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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