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Außenamt umwirbt Migranten: Neue Diplomaten braucht das Land

Das Auswärtige Amt will mehr Migranten für den diplomatischen Dienst gewinnen. Auch der Minister leistet Überzeugungsarbeit. Noch schreckt das elitäre Image des Ministeriums aber viele ab.

Samy Saadi ist gern Diplomat. Reisen, Sprachen, Politik, das macht für ihn den Reiz des diplomatischen Dienstes aus. Derzeit arbeitet der 31-Jährige in Berlin, zuvor war er in Pakistan. „Dort bin ich schon auf Erstaunen gestoßen“, sagt er. Denn Samy Saadi ist deutscher Diplomat. Seine algerischen Wurzeln sieht man ihm eigentlich auch gar nicht an. Mit seinen blonden Haaren und der hellen Haut wirkt er wie ein Durchschnittsdeutscher. „Doch mein Name irritiert viele“, erklärt er. In Pakistan sei er oft für einen lokalen Mitarbeiter der deutschen Botschaft gehalten worden. „Dass ich Deutscher bin, musste ich meist erst erklären.“ Die Erwartungen an ihn waren dann umso größer. „Du verstehst uns“, bekam er nicht selten zu hören. „Man war mir gegenüber sehr offen.“

Mentales Update

Für die politische Leitung des Auswärtigen Amtes (AA) dürfte das eine Bestätigung ihrer neuen Personalpolitik sein. Das AA will künftig deutlich mehr junge Deutsche mit Migrationshintergrund in den diplomatischen Dienst aufnehmen. Die Pläne sind Teil des „mentalen Updates“, das Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seinem Ministerium verordnet hat, und das er sich auch für ganz Deutschland wünscht, wie er im Oktober 2014 in Stuttgart am Institut für Auslandsbeziehungen sagte.

Nach seiner Rückkehr auf den außenpolitischen Chefposten hatte Steinmeier im Auswärtigen Amt einen sogenannten Review-Prozess angestoßen. Die zentrale Frage lautete, ob Deutschland auf die Veränderungen in der Welt gut vorbereitet ist. Und: Ob sein Ministerium das richtige Personal hat, um Antworten auf internationale Entwicklungen zu finden. Das Ergebnis war eindeutig: Nein. Denn ausgerechnet im international agierenden diplomatischen Dienst ist kulturelle Vielfalt, neudeutsch Diversity, bisher ein Fremdwort. „In diesem Bereich sind wir noch nicht auf demselben Stand wie große Unternehmen“, sagte Steinmeier vor einiger Zeit bei einer Veranstaltung, zu der das Auswärtige Amt junge Migranten aus ganz Deutschland eingeladen hatte.

Erfahrung in Krisengebieten erwünscht

„Wir brauchen die besten und neugierigsten Menschen an Bord“, sagte Steinmeier. Er sagte auch warum: „Wir erleben eine Zeit vieler Krisen: Syrien, Irak, Nordafrika, die Ukraine. Mein Verdacht ist, das ist kein vorübergehendes Phänomen. Die Krise wird vielmehr der Normalfall bleiben, deshalb muss sich die Struktur im Auswärtigen Amt darauf einstellen.“ Gemeint ist die Organisationsstruktur des Amtes ebenso wie die Personalstruktur. So erhofft sich der Außenminister von Migranten, die selbst aus Krisenstaaten stammen, einen besonderen Zugang zu den Problemen in den jeweiligen Regionen.

Wenige Vorbilder

Doch bisher finden nur wenige Migranten den Weg ins Auswärtige Amt. Und die wenigen, die hier Karriere machen, müssen öffentlich als Vorbild herhalten, obwohl sie doch eigentlich nur ganz normale Deutsche sein wollen. Da ist zum Beispiel Serap Ocak, Tochter türkischer Eltern und heute Legationsrätin Erster Klasse im Auswärtigen Amt. Sie sagt, dass sie eher zufällig in den Diplomatischen Dienst gestolpert sei und einfach nur ihre Arbeit mache. Ihr Migrationshintergrund spiele dabei überhaupt keine Rolle. Auch die Tatsache, dass Steinmeier mit Sawsan Chebli eine praktizierende Muslima als stellvertretende Pressesprecherin ins Amt holte, erregte Aufsehen. Der Außenminister wollte damit bewusst ein Zeichen setzen und signalisieren: Das Auswärtige Amt ist offen für Migranten. Chebli stammt aus einer palästinensischen Familie, die 1970 aus dem Libanon nach Deutschland flüchtete. Sie hat zwölf Geschwister, die Eltern können kaum lesen und schreiben. Dennoch schaffte die Tochter einen bemerkenswerten Aufstieg. Bis 2014 war sie Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten beim Berliner Innensenator, dann kam sie als Quereinsteigerin ins Auswärtige Amt.

Genaue Zahlen fehlen

Nach Angaben des AA haben etwa zehn bis 18 Prozent der Bewerber für den höheren Dienst einen Migrationshintergrund. Genaue Zahlen, wie viele es ins Auswärtige Amt schaffen, gibt es nicht. Schließlich müssen alle, die Deutschland im Ausland vertreten, einen deutschen Pass besitzen. Der familiäre Hintergrund ist Privatsache und kein Auswahlkriterium. Das soll auch so bleiben. Migranten sollen zwar ermutigt werden, sich für den diplomatischen Dienst zu bewerben – so steht in Stellenausschreibungen des AA, dass Bewerbungen von Deutschen mit Migrationshintergrund „ausdrücklich begrüßt werden“ –, einen Bonus im Auswahlverfahren erhalten sie aber nicht. Laut Steinmeier muss das Auswärtige Amt „aktiv Zugang zu denjenigen potenziellen Bewerbern suchen, die sich bisher nicht angesprochen gefühlt haben“.

Große Hemmschwelle

Gerade bei Migranten scheint die Hemmschwelle tatsächlich groß zu sein. „Viele trauen sich erst gar nicht, sich zu bewerben“, weiß Nachwuchsdiplomat Samy Saadi von Freunden und früheren Kommilitonen. Der diplomatische Dienst gilt als elitär, das Auswahlverfahren für den Nachwuchs als extrem anspruchsvoll und auf ein deutsches Bildungsbürgertum zugeschnitten. Das schreckt ab. Vor allem Bewerber, die ihre Kindheit noch nicht in Deutschland verbracht haben, rechnen sich kaum Chancen aus und gehen lieber gleich in die Wirtschaft. Dem Auswärtigen Amt geht so Potenzial verloren.

Ein Problem, das man auch anderswo in Europa kennt. Selbst ein traditionelles Einwanderungsland wie Frankreich hat Schwierigkeiten, Migranten für den diplomatischen Dienst zu gewinnen. Ein wichtiger Punkt der Diskussion in Frankreich wie in Deutschland: Was gehört zur „culture general“ oder auch zur deutschen Allgemeinbildung? Das Auswahlverfahren im Auswärtigen Amt wird nun einer kritischen Prüfung unterzogen. Am hohen Niveau will das Amt zwar nicht rütteln, doch einzelne Kriterien werden möglicherweise verändert. Die Sprachvoraussetzungen zum Beispiel. Bisher liegt hier der Fokus vor allem auf Englisch und Französisch, während Arabisch, Türkisch oder Persisch keine Pluspunkte bringen.

Typische und untypische AA-Karrieren

Saadi hatte keine Berührungsängste. Er ist allerdings auch in Bochum geboren und aufgewachsen, als Sohn eines algerischen Vaters und einer deutschen Mutter. „Ich bin mir meiner algerischen Wurzeln zwar bewusst, doch ich habe mich immer als Deutscher gefühlt“, sagt er. Und wie manch anderer Deutsche interessierte er sich früh für internationale Zusammenhänge, studierte in Frankreich und arbeite bei der Europäischen Union und den Vereinten Nationen, bevor er sich für den Auswärtigen Dienst bewarb. Eine typische AA-Karriere.

Diplomatin mit Kopftuch

Nun sollen die untypischen hinzukommen. Bei der Veranstaltung in Berlin machte eine junge Frau gleich die Nagelprobe. Ob deutsche Diplomatinnen auch Kopftuch tragen dürften?, fragte sie. Ein Kopftuch sei kein prinzipielles Hindernis, antwortete Steinmeier. „Wir sollten keine Angst davor haben, wenn der deutsche Diplomat im Ausland vom Aussehen her nicht typisch deutsch aussieht.“ Nicht alle im Saal überzeugte das. „Was heißt prinzipiell?“, raunte eine Zuhörerin ihrer Sitznachbarin zu. Die betroffenen Frauen blieben misstrauisch. Schließlich stoßen muslimische Bewerberinnen für den öffentlichen Dienst immer wieder auf Ablehnung, wenn sie auf das Tragen eines Kopftuches bestehen. Und da soll es bald im Ausland deutsche Botschafterinnen mit Kopftuch geben?

Erste Erfolge

Konkret werden sich Fragen wie diese ohnehin erst in vielen Jahren stellen, denn die Karriereleiter im Auswärtigen Dienst ist lang. Die Chancen stehen aber gut, dass demnächst tatsächlich mehr Deutsche mit Migrationshintergrund auf dieser Leiter unterwegs sein werden. Zwar liegen genaue Zahlen für das aktuelle Auswahlverfahren für den höheren auswärtigen Dienst noch nicht vor. Nach Auskunft des Auswäritgen Amtes haben sich diesmal aber bereits mehr Migranten als früher beworben.

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