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Den Spreewald kennen viele Berliner gut, er ist ein beliebtes Ausflugsziel - und gehört irgendwie dazu.

© dpa

Rot-rot-grün in Berlin: Neue Visionen für die Metropolregion

Praktisch sind Berlin und Brandenburg schon fast eins geworden. Theoretisches fehlt aber noch. Der neue Koalitionsvertrag erwähnt die Metropolregion zumindest. Gut so. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Brandenburg ist ein schönes Land mit einem Krater in der Mitte, in dem Milliarden Euro verschwinden. Berlin ist ein Motor, dessen Kraft an der Grenze der Stadt plötzlich endet. Das sind, grob gesagt, die politischen Perspektiven von Potsdam auf Berlin und von Berlin auf Potsdam. Vor 20 Jahren scheiterte der Volksentscheid, der aus zwei Perspektiven eine machen sollte: die auf ein Bundesland Berlin-Brandenburg. Etwas könnte sich nun ändern.
Berlins rot-rot-grüne Koalition ist mit ihrer 177-Seiten-Sammlung von neuen Projekten wegen allem Möglichen im Gespräch, aber nicht wegen ihrer Perspektive auf Brandenburg. 38 Mal findet sich der Name des Nachbar- und Umgebungslandes in den verschiedenen Regionen des Regierungsplans (plus einmal im Zusammenhang mit dem Brandenburger Tor).
200.000 Brandenburger arbeiteten 2015 in Berlin, 82.000 Berliner in Brandenburg. Das sagt schon viel. Den Rest erzählen die Beteiligten an den Staus am Sonntagabend stadteinwärts auf der Heerstraße, die Wochenendbrandenburger aus Berlin, die ihren Landsitz bewohnt haben, die Rennradfahrer im Umland, die sich an den guten Straßen erfreuen, und die Reiterinnen, die ein weites Land vor sich haben. Und umgekehrt die Reformationstags-Shopper in Berlin, die aus der Prignitz anreisen und in den Berliner Malls unterwegs sind, die so groß sind wie manche Dörfer in den so genannten Berlin-fernen Regionen. So gesehen ist die Fusion längst vollzogen.
Trotzdem und gerade deshalb braucht es die Politik, die sich ein paar Gedanken über die Praxis macht. Ein Linksbündnis ist ein Bündnis der Planer, der Träumer und der Großperspektivendenker. Das kann mit Blick auf die Landesgrenzen überschreitenden Beziehungen zwischen Berlin und Potsdam nicht schaden.
In den vergangenen fünf Jahren ist so gut wie nichts passiert. Die regierenden Sozialdemokraten in Berlin und Potsdam hatten sich nicht viel zu sagen. Im nächsten Senat gibt es offenbar Leute, die keine Sorge vor großen Plänen haben, vor Sätzen wie dem auf der Koalitionsvertragsseite 27: „Die Metropolregion Berlin-Brandenburg als gemeinsamer Wohnungsmarkt, Wirtschafts- und Verkehrsraum sowie Tourismusregion braucht eine vorausschauende Gesamtstrategie ...“ Okay, das ist uncharmantes Planer-Deutsch, aber es hat etwas Gutes: die Perspektive. Ohne Berliner Arroganz. Ohne Brandenburger Ressentiment gegen zahlenmäßig überwältigende Großstadtbewohner. Aus dem holpernden Satz spricht ein Gefühl, das Grenzen überschreitet.

Welcher Regent würde sich schon selbst abschaffen?

Skeptiker werden sagen: Es ist bloß Polit-Lyrik – auch wenn all die Brandenburg-Stellen in dem Papier zeigen, dass sich da ein paar Leute etwas gedacht haben: über ein gemeinsames Energienetz, über eine gemeinsame Ausbildungsabgabe, über die Sanierung des Mauerwegs oder ein Einsatztrainingszentrum für die Berliner Polizei. Skeptiker werden darauf hinweisen, dass sich die Verwaltungen in Brandenburg nach 1996 und dem Scheitern des Fusionsversuchs ebenso tief eingegraben haben wie die Verwaltungen in Berlin. Planstellen sind Planstellen sind Planstellen. Und die Skeptiker werden mit Recht darauf hinweisen, dass keine Verwaltung eines Berliner Regierenden Bürgermeisters oder eines Brandenburger Ministerpräsidenten mit freiem Herzen und freiem Hirn über ihre Selbstabschaffung nachzudenken bereit ist – oder auch nur über einen Umzug von Berlin nach Potsdam.
Und überhaupt: Veränderungen! In Brandenburg handeln sie sich gerade mächtig Ärger ein mit ihrer großen Kreisreform. Ausgerechnet die Anhänger der SPD, das besagt eine frische Umfrage, nehmen ihrem MP und seinem Innenminister die Pläne zum Verwaltungs- und Kreis-Schrumpfen sehr übel. Aufgeregt weisen sie in Potsdam darauf hin, dass es doch für die Leute nicht schlechter werde, wenn die Kreisverwaltungen verändert würden – für alles Bürokratische seien nicht die Kreise, sondern die Gemeinden zuständig.
Das alles kann man als Beweis dafür nehmen, dass Landesgrenzen nur nach einem Krieg oder einer friedlichen Revolution à la 1989 zu verändern sind. Aus dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag spricht, wenigstens in dieser Hinsicht, ein anderer Spirit. Es ist die pragmatische Orientierung an der Metropolregion Hamburg plus Umgebung. Dort macht man, ohne große Ideologie und vor allem ohne Arroganz, mit klarem Bewusstsein für gemeinsame Interessen und Probleme, eine gemeinsame Politik. Solches Denken zwischen Berlin und Potsdam wäre mal etwas Neues. Man muss das Ganze ja nicht Preußen Zweipunktnull nennen.

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