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Untersuchung: Noch mehr Behördenpannen nach Neonazi-Überfall inThüringen

Drei an der Attacke auf Gewerkschafter beteiligte Schweden reisten offenbar problemlos aus. Die SPD sieht das als ein skandalöses Versagen der Polizei. Die Umstände müssen nun geklärt werden.

Von Frank Jansen

Nach dem Überfall von Neonazis auf Gewerkschafter in Thüringen häufen sich die Merkwürdigkeiten. Die drei schwedischen Rechtsxtremisten, die am Sonnabend an dem Angriff auf der Autobahnraststätte Teufelstal beteiligt gewesen sein sollen und später mit 38 weiteren Neonazis von der Thüringer Polizei kontrolliert wurden, konnten offenbar trotz bundesweiter Fahndung unbehelligt Deutschland verlassen. Es sei "gut möglich", dass die Schweden ausgereist sind, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Gera, Ralf Mohrmann, am Mittwoch dem Tagesspiegel. Zuvor hatte im Internet der Infodienst "MVregion" gemeldet, die Skandinavier seien am Montag vom Flughafen Hahn (Rheinland-Pfalz) mit einer Maschine der Ryan Air nach Göteborg geflogen.

Schon dieses Detail ist für die Thüringer Behörden unangenehm - denn einer der Schweden könnte bei der Gewalttat eine besondere Rolle gespielt haben. Die Staatsanwaltschaft Gera hat am Dienstag gegen den Mann einen Haftbefehl erwirkt, der Vorwurf lautet Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall. Bei dem Angriff der Neonazis hatte, wie berichtet, ein Gewerkschafter durch massive Tritte einen Schädelbruch erlitten. Vier weitere Personen wurden weniger schwer verletzt. Die Thüringer Polizei ließ den Bus mit den Neonazis nach einer Personenkontrolle weiterfahren - weil der Polizeiführer, wie es im Innenministerium heißt, von der Schwere der Verletzung des Gewerkschafters nichts wusste.

Die Fragen nach dem Informationsstand der Polizei seien berechtigt

Nach Recherchen des Tagesspiegels hätte die Polizei besser informiert sein können. Der Notruf der überfallenen Gewerkschafter ging um 19:28 Uhr bei der Polizei ein. Drei Minuten später kam ein Streifenwagen zur Raststätte. Die Beamten riefen Verstärkung und einen Krankenwagen und fuhren dann weiter, um die Neonazis auf der Autobahn zu verfolgen. Deren Bus wurde zunächst in eine Parkbucht dirigiert und anschließend zur Ausfahrt Jena-Lobeda. Dort wartete eine Polizeieinheit, die von 19:45 bis 21 Uhr die Personalien der Neonazis aufnahm und die Männer videografierte. Bis 21 Uhr hätte die Polizei in Erfahrung bringen können, ob bei dem zusammengetretenen Gewerkschafter zumindest der Verdacht auf eine schwere Verletzung vorlag. Der Krankenwagen hatte das Opfer ins Klinikum Jena gebracht. Außerdem bleibt offen, ob die Polizisten bei der Kontrolle auf mögliche Blutspuren an Schuhen und Hosen der Neonazis achteten.

Die Frage sei berechtigt, ob der Polizeiführer in Jena-Lobeda von der Schädelfraktur hätte wissen können, gab der Sprecher des Thüringer Innenministeriums, Bernd Edelmann, am Mittwoch zu. Die "konkreten Abläufe" würden allerdings noch untersucht. Spätestens kommende Woche muss jedoch Minister Manfred Scherer (CDU) die Erkenntnisse beisammenhaben. Vermutlich am Mittwoch wird sich der Innenausschuss des Landtags auf Antrag der Linksfraktion - die SPD wird sich anschließen - in einer Sondersitzung mit dem Fall beschäftigen. Die Polizeiführung habe "verantwortungslos" gehandelt, sagte der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Roland Hahnemann, dem Tagesspiegel. Der SPD-Innenexperte Heiko Gentzel sprach von "skandalösem Versagen". Gentzel verwies auf das Thüringer Polizeiaufgabengesetz, wonach es möglich gewesen wäre, die Neonazis bis zu 24 Stunden festzuhalten. Die Polizei hätte zudem auch nach Ende der Kontrolle in Jena eine Verfolgung des Busses einleiten können.

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