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Politik: Perfekt sterben?

Von Wolfgang Prosinger

Stand:

Es geht um Leben und Tod. Und wenn es um etwas so Elementares geht, dann wird daneben alles andere klein. Das ist gut so. Es schützt vor Anmaßung.

Denn davor ist die Diskussion nicht gefeit, die diese Woche im Bundestag begonnen hat und am Ende möglicherweise zu einem Gesetz führt, das regeln soll, wie selbstbestimmt Menschen mit ihrem Sterben umgehen können. Ob sie mit einer Patientenverfügung auch im Fall der Bewusstlosigkeit bestimmen dürfen: Ich will keine lebensverlängernden Maßnahmen, ich möchte sterben. Ein Thema von existenzieller Wucht, kein Thema für einfache Ansichten. Weshalb im Bundestag die Meinungen quer durch die Fraktionen gingen und die leisen Töne dominierten.

Zwei verschiedene, sich gegenseitig ausschließende Vorschläge liegen auf dem Tisch. Es sind im Grunde jene Antworten, die immer auftauchen, wenn Deutschland eine Frage von fundamentalem lebensethischen Rang diskutiert: die Position, die ihr Hauptgewicht auf den Lebensschutz setzt, und auf der anderen Seite jene, die dem Selbstbestimmungsrecht den Vorrang gibt. Die Lebensschützer wollen den Abbruch medizinischer Behandlung nur dann erlauben, wenn – etwas vereinfacht gesagt – der Patient bereits im Sterben liegt. Eine sehr harte Position. Denn sie bedeutet, dass von der Freiheit eines Christenmenschen nicht mehr viel übrig bleibt, dass ein Kranker ungefragt die Fortsetzung seiner Qualen in Kauf nehmen muss. Es ist eine Haltung von hoher moralischer Rigorosität, getragen von der christlichen Sicht, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist. Fragt sich nur, ob sie ebenso sehr von christlicher Barmherzigkeit getragen ist. Ob eine private Überzeugung zur Grundlage allgemeinen Handelns gemacht werden darf. Und ob – ganz nebenbei – deutsche Verfassungsgrundsätze beachtet sind, die dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen einen hohen Wert beimessen. In jedem Falle wäre ein solches Gesetz ein großer Rückschritt gegenüber der gegenwärtigen Praxis, in der Patientenverfügungen – zwar nicht durch Gesetz, aber doch durch Rechtsprechung – als weitgehend verbindlich gelten. Das würde nun abgeschafft, die Entscheidung über Leben und Tod treffen andere, nicht der Patient selbst.

Aber auch jene, die ganz und gar auf die Entscheidungsfreiheit des Menschen setzen, kommen um unangenehme Fragen nicht herum: Eine Patientenverfügung ist schließlich in einer Situation geschrieben worden, die wenig gemein hat mit der, in der sich der Patient im Ernstfall befindet. Würde er die Entscheidung jetzt genauso treffen? Hat er bedacht, dass der Fortschritt der Medizin ihm eine Heilungschance bieten könnte, von der er bei Abfassung der Verfügung noch nichts wusste? Hat er den – schwierigen – Gedanken erwogen, dass er sich vielleicht mit seinem Leiden arrangieren, sich darin einrichten könnte? Und gänzlich unberücksichtigt bliebe die Möglichkeit überraschender, unvorhersehbarer Heilungserfolge. All das wird wenig geachtet, wo das Selbstbestimmungsrecht absolut gesetzt wird.

Unzulänglichkeiten also, wohin man sieht. Aber sie lehren etwas: dass die Annahme, man könne ein Gesetz schaffen, das die Ungeheuerlichkeit des Sterbens in Normen zwingt, eine große Anmaßung ist. Es wird kein Reglement geben, das allen Eventualitäten Rechnung trägt, das alle Ängste und Nöte stillt. Darum kann ein Gesetz, wenn es denn wirklich eines geben wird, nicht vollkommen sein. Perfekte Ordnung und Sicherheit gibt es im Angesicht des Sterbens nicht. Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen.

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