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Polizeischüler müssen nicht nur in den Schießstand, sondern auch interkulturelle Kompetenz erwerben.

© Rainer Jensen/dpa

Polizei und Rassismus: Wir haben keinen systemimmanenten Rassismus wie in den USA - aber ein Problem

Wie in der Gesellschaft kommt Rassismus auch in den Sicherheitsbehörden vor. Wir müssen und können etwas tun. Ein Gastbeitrag der früheren Justizministerin.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und war von 2009 bis 2013 und davor bereits von 1992 bis 1996 Bundesjustizministerin.

Der Fall George Floyd hat viele Menschen erschüttert und die weltweite Debatte über Rassismus angefacht. Auch in Deutschland gehen die Menschen zu tausenden auf die Straße. Laut einer aktuellen Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung sind mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger der Meinung, dass Deutschland große Probleme mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat.

Mit ihrem Protest bringen viele auch ihre Frustration darüber zum Ausdruck, dass wir im Jahr 2020 bei diesem Thema immer noch nicht weiter sind.

Die Politik versucht auf diesen fahrenden Zug aufzuspringen und diskutiert nun auch über institutionellen Rassismus in den deutschen Sicherheitsbehörden. Dabei wird den Behörden von der einen Seite pauschal ein institutioneller Rassismus unterstellt, der von der anderen Seite reflexartig zurückgewiesen wird.

Zwischentöne sind bei einem derart komplexen Thema schwierig, aber umso wichtiger.

Systemimmanenter Rassismus wie in den USA existiert bei uns nicht

Wir können zunächst feststellen, dass in den deutschen Behörden kein mit der Situation in den USA vergleichbarer systemimmanenter Rassismus existiert. Darin sind sich auch die meisten Experten einig. Sie weisen jedoch auch darauf hin, dass Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen natürlich ebenso in den Reihen der Sicherheitsbeamten vorkommt.

Ein Blick auf die Rassismus-Zwischenfälle der letzten Jahre ist erschreckend. Todesfälle von dunkelhäutigen Menschen in Polizeigewahrsam, mysteriöse Ermittlungspannen gegen den NSU, rechtsradikale und antisemitische Drohnachrichten unter dem Namen „NSU 2.0“ bei der Frankfurter Polizei, eine rechtsradikale „Prepper“-Chatgruppe eines Polizeibeamten in Mecklenburg-Vorpommern. Alles Einzelfälle?

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Dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, waren dies jedenfalls zu viele Fälle. Er lässt momentan einen Lagebericht zu rechtsextremistischen Umtrieben in den Sicherheitsbehörden erstellen. Erste Ergebnisse sollen im Sommer vorliegen.

Die schiere Zahl der rassistisch motivierten Vorkommnisse, aber auch weiterhin bestehende Probleme mit Praktiken wie „racial profiling“ lassen bereits heute einen eindeutigen Handlungsbedarf erkennen.
Dieser beginnt bei der systematischen Erfassung und Untersuchung der relevanten Fälle. Vorwürfe müssen vorbehaltslos durch Staatsanwaltschaften verfolgt und durch die Gerichte aufgeklärt werden. Gerade im Bereich von Todesfällen in Polizeigewahrsam ist die oft mangelhafte Aufklärung unerträglich.

Experten weisen zudem darauf hin, dass der gesamte Bereich wissenschaftlich noch völlig unterbelichtet ist. Hier müssen systematische und langfristige Forschungsprojekte angestoßen werden.

Interkulturelle Kompetenzen stehen zwar im Plan, aber es passiert zu wenig

Auch im Bereich der Ausbildung und Sensibilisierung muss jetzt endlich ernst gemacht werden. „Interkulturelle Kompetenzen“ stehen zwar in vielen Bundesländern schon seit Jahren auf dem Ausbildungsplan. Spricht man jedoch mit Praktikern, so wird schnell klar, dass hier oft noch zu wenig passiert. Initiativen beruhen häufig zu sehr auf dem Engagement und Interesse Einzelner.

Ausbildungsinhalte wie etwa zu Antisemitismus sind regelmäßig kein Pflichtstoff. Hier muss es endlich ein länderübergreifendes, systematisches Ausbildungskonzept zu Rassismus und Antisemitismus geben, das für alle Anwärterinnen und Anwärter verpflichtend ist.

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Eine umfassende Ausbildung kann dabei aber nur ein Teil der Lösung sein. Letztlich lassen sich viele Aspekte unserer Einwanderungsgesellschaft nicht rein theoretisch erlernen. Die Sicherheitsbeamten müssen Teil der Gesellschaft sein, die sie schützen sollen und diese abbilden.

Vor diesem Hintergrund ist es ebenso wichtig, dass sich der Nachwuchs der Sicherheitsbehörden viel stärker als bisher aus allen Schichten der Gesellschaft rekrutiert und insbesondere auch Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund berücksichtigt.

Beamte fühlen sich allein gelassen angesichts der Probleme einer Einwanderungsgesellschaft

Erwarten wir von unseren Sicherheitsbehörden, dass sie sich so nachhaltig weiterentwickeln, so müssen wir ihnen aber auch zuhören, ihre Sorgen ernst nehmen und Taten folgen lassen. Zu oft fühlen sich Beamtinnen und Beamten mit den komplexen Problemen der Einwanderungsgesellschaft, die sie repräsentieren sollen, alleine gelassen.

Die Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 hat zudem das Vertrauensverhältnis zur Politik nachhaltig erschüttert. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sprach damals sogar von Demütigung und „katastrophalen“ Verhältnissen.

Aber auch die digitalen Sicherheitsmaßnahmen bergen Potenzial für rassistisches Handeln. In den USA wird daher von den Sicherheitsbehörden zunehmend auf sogenannte intelligente Gesichtserkennung verzichtet. Die in Deutschland durchgeführten Projekte in Berlin und Hamburg sollten deshalb auf keinen Fall als Standardmaßnahme eingeführt werden.

Auch wir stehen bei diesem Thema also vor großen Herausforderungen. Wer das nicht glaubt, ist naiv. Gehen wir diese jedoch jetzt an, so lässt sich eine Polarisierung wie in den USA bei uns verhindern. Das dafür nötige Vertrauen der Bevölkerung besteht immerhin: Laut der neuen Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung sehen nur 20 Prozent der Menschen bei der Polizei und anderen deutschen Behörden rassistisches Gedankengut weit verbreitet.

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