
Jan T. Gross: Polnische Goldgräber
Das Buch über Grabschänder und Holocaust-Profiteure von Jan T. Gross ist noch gar nicht in deutscher Sprache erschienen, da gibt es schon Boykottaufrufe.
Noch keiner hat den Essay gesehen, denn die Veröffentlichung der polnischen Übersetzung ist erst für den 10. März geplant, in den USA soll das Original gar erst im August erscheinen. Die Rede ist von Jan T. Gross’ neuem Buch, das übersetzt den Titel „Goldene Ernte“ tragen wird. Der amerikanische Soziologe polnisch-jüdischer Abstammung beschreibt darin eines der traurigsten Kapitel der unmittelbaren Nachkriegszeit in Polen. Kaum hatten die Sowjets 1945 die deutschen KZs befreit, machten sich Bauern in den umliegenden Weilern daran, die Massengräber auf der Suche nach den letzten Habseligkeiten der ermordeten Juden zu durchsuchen. Diese Grabschändungen sind in Polen in Fachkreisen zwar seit Jahren bekannt, doch öffentlich diskutiert wurden sie noch nie. Gross hat mit seinen Publikationen aber bereits zweimal Debatten ausgelöst. 2001 schob er mit seinem Büchlein „Nachbarn“ über das Judenpogrom von Jedwabne Polens größte je geführte Geschichtsdebatte an. Fünf Jahre später schrieb er in „Angst“ über den Judenpogrom von Kielce 1946 sowie den weit verbreiteten Antisemitismus nach dem Kriege.
In dem neuen Essay beschreibt Gross nicht nur die jahrelange „Goldgräberstimmung“ rund um die ehemaligen KZs Treblinka, Auschwitz-Birkenau, Majdanek und Belzec. Der scharfzüngige Publizist wirft ebenso einen Blick auf die oftmals gar nicht so selbstlosen polnischen Judenretter während des Zweiten Weltkrieges sowie den oft von zynischem Gewinnstreben geleiteten Handel zwischen polnischen Bauern, deutschem Wachpersonal und jüdischen KZ-Häftlingen. Dass dem Soziologen solche Forschungsinteressen in Polen nicht nur Freunde einbringen würden, war von Anfang an klar. Auch Gross selbst spielt immer wieder gekonnt mit seinem Buhmann-Image, das die Verkaufszahlen seiner Werke in die Höhe treibt. Das tut auch die Diskussion über einen Text, den noch gar niemand kennt. Dabei brechen in der Öffentlichkeit die alten Gräben wieder auf. Während die führende Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ bereits vor drei Jahren über die „Goldgräber“ von Treblinka geschrieben hatte, stürzen sich vor allem die konservativen, Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski nahestehenden Publikationen und Internetseiten mit einem Aufschrei auf die noch unveröffentlichte Publikation. Die mit dem ultra-katholischen, anti-semitischen „Radio Maryja“ verbundene Tageszeitung „Nasz Dziennik“ schreibt über das Buch unisono von einem Machwerk des „Märchen-Erzählers“ Jan T. Gross. Die an sich seriöse, konservative Tageszeitung „Rzeczpospolita“ hat sich mangels eines Textes auf ein angeblich böswillig falsch interpretiertes Foto gestürzt, das Gross als Ausgangspunkt für seinen Essay dient.
Das Archivfoto zeigt laut Gross bei Grabschändungen ertappte Bauern im Geleit von Polizisten auf einem Feld in der Nähe von Treblinka. Vor der Gruppe sind eine Reihe von Totenköpfen aufgeschichtet. Die Bauern haben Spaten in den Händen, ihre Gesichter sind müde und ausdruckslos. „Keine Scham, nicht einmal Verlegenheit ... sie schauen unschuldig drein“, schreibt Gross gemäß Politmagazin „Wprost“ über das Bild. „Das Phänomen war soweit verbreitet, dass solche Taten als eine Art Normalität galten.“
So darf keiner über Polen schreiben, findet eine Gruppe rechtsnational gesinnter Polen und ruft im Internet zu einem Boykott des katholisch-liberalen Krakauer Gross-Verlegers „Znak“ auf.