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Eine Demonstration der rechtsextremen "Pro Chemnitz"-Bewegung im August 2019 in Chemnitz.

© REUTERS

Krise der Repräsentation?: Populismus ist ein grandioses Täuschungsmanöver

Rechtspopulismus ist nicht eine Reaktion auf einen entarteten Liberalismus - sondern eine Begleiterscheinung der Globalisierung. Eine Replik auf Philipp Manow.

Richard Stöss ist Politikwissenschaftler mit Forschungsschwerpunkten Rechtsextremismus und Parteienforschung.

Über Zustand und Zukunft der Demokratie wird in letzter Zeit heftig diskutiert. Folgt man dem, was der Bremer Politikwissenschaftler Philipp Manow in einem Vorabdruck aus seinem Buch „(Ent-)Demokratisierung der Demokratie“ im Tagesspiegel schrieb, dann haben wir es nicht mit einer Krise der Demokratie, sondern mit einer Krise der demokratischen Repräsentation zu tun.

Infolge der "massiven Ausweitung politischer Partizipationschancen" könnten traditionelle Vermittlungsinstanzen wie Parteien, Parlamente und Presse "ihre politischen Aggregierungs-, Modernisierungs- und Kanalisierungsfunktionen immer weniger erfüllen".

Die "Demokratie als Legitimationsprinzip" sei dabei allerdings nicht umstritten. Manow beruft sich auf den niederländischen Politikwissenschaftler Cas Mudde, der zwischen Populismus und Extremismus unterscheidet.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten Nationalisten und Kommunisten als Erscheinungsformen eines antidemokratischen Extremismus die bestehende Ordnung bekämpft, während sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts Populisten gegen den Missbrauch der Demokratie durch die herrschenden politischen Eliten richteten − und zwar demonstrativ unter Berufung auf den Willen des Volkes.

Demokratische Populisten?

Populisten seien insofern demokratisch, als sie die Volkssouveränität verteidigten, das Mehrheitsprinzip akzeptierten und sich an Wahlen beteiligten. Allerdings, so Manow, würde der Populismus zunehmend demokratische Rechte in Frage stellen.

Daraus schließt Manow, dass es sich beim Populismus im Wesentlichen um eine "illiberale demokratische Antwort" auf einen expansiven, undemokratischen Liberalismus handelt.

Denn das Prinzip der demokratischen Repräsentation werde auch von einem Liberalismus bedroht, der "in vielen seiner heutigen Ausprägungen" die Volkssouveränität "aushöhle". Kurz: Der Populismus sei zwar antiliberal, aber nicht antidemokratisch.

In dieser Analyse erscheinen mir zwei Thesen besonders problematisch: Erstens, dass der Populismus eine Reaktion auf einen entarteten Liberalismus sei, und zweitens, dass es sich beim Populismus um ein demokratisches Phänomen handelt.

Populismus, Rechtsextremismus und völkischer Nationalismus

Meine Kritik geht davon aus, dass der Begriff "Populismus" im üblichen Sinn Verwendung findet: Gemeint sind demagogische Formen und Inhalte der Massenmobilisierung, die sich gegen das politische Establishment richten und sich dabei auf die (vermeintlichen) Interessen der Bürger berufen.

Ich gehe weiterhin davon aus, dass sich die Analyse auf die europäischen und nordatlantischen Gesellschaften bezieht und dass folglich Rechtspopulismus gemeint ist, wenn von Populismus die Rede ist. Schließlich sei erwähnt, dass es sich beim Rechtsextremismus nach meinem Verständnis um völkischen Nationalismus handelt.

Ein kursorischer Blick in die deutsche Geschichte zeigt, dass Rechtspopulismus kein Kind des beginnenden 21. Jahrhunderts ist. Als erste nennenswerte Rechtsaußenpartei kann die 1917 gegründete Deutsche Vaterlandspartei (DVLP) bezeichnet werden.

Gründungsanlass war die damals vom Reichstag mit den Stimmen der Linksliberalen, der Sozialdemokraten und des Zentrums verabschiedete "Friedensresolution", die sich für einen Verständigungsfrieden ohne Gebietserwerbungen aussprach und folglich bei den Anhängern expansionistischer Kriegsziele auf scharfe Ablehnung stieß.

Ein Parlamentarismus für die Monarchie

Die Vaterlandspartei wollte mehr sein als nur eine Sammlungsbewegung bürgerlich-nationalistischer Kräfte, nämlich eine breite, über die bestehenden Parteien hinweg auch in die Arbeiterschaft hinein wirkende Volkspartei, die die Bevölkerung insgesamt gegen die für einen "faulen Frieden" oder einen "Verzichtsfrieden" verantwortlichen politischen Eliten mobilisiert.

Die Vaterlandspartei trat zwar extrem populistisch und nationalistisch auf, die völkische Komponente war jedoch nur schwach ausgeprägt, und rassistische Tendenzen machten sich nur an den Rändern bemerkbar. Die DVLP kritisierte die bestehende wilhelminische Ordnung, lehnte jedoch weder Wahlen noch den Parlamentarismus grundsätzlich ab.

Allerdings wollte sie beides als Instrumente zur Legitimation einer autoritär-etatistisch ausgerichteten konstitutionellen Monarchie verstanden wissen.

Hetze gegen Volksvertreter

Die nationalsozialistische Bewegung vertrat in den Jahren der Weimarer Republik nicht nur völkisch-rassistische und nationalistische Ziele, sie war in Programm und Praxis auch ausgesprochen populistisch aufgelegt. Auch sie lehnte in ihrem Kampf gegen die Weimarer Ordnung Volkssouveränität, Mehrheitsprinzip, Wahlen und Parlamente nicht offiziell ab, jedenfalls nicht bis zur "Machtergreifung".

Aber sie hetzte gegen den Parlamentarismus, womit weniger die Institution Parlament, sondern vor allem die "sogenannten Volksvertreter" gemeint waren. In "Mein Kampf" polemisierte Hitler seitenlang gegen Parlamente und Parlamentarier mit der immer gleichen Tendenz, dass es sich bei den Volksvertretern in Wirklichkeit um Volksverräter handele.

Selbst nach der "Machtergreifung" wollte die Nationalsozialisten nicht ganz auf Wahlen und Parlamente verzichten, wie Hitler in "Mein Kampf" ankündigte. Sie wurden dann allerdings dem Führerprinzip untergeordnet.

Gegen eine bestimmte Form von Demokratie

Der Nachkriegsrechtsextremismus betrachtete nicht nur die vier alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs als Feinde, sondern auch ihre "Handlanger" in Deutschland, nämlich die angeblich korrupten und volksfeindlichen Führungsgruppen der "Lizenzparteien".

Sie hätten sich entweder auf die Seite der Westmächte oder auf die der Sowjetunion geschlagen und würden nun gemeinsam mit der jeweiligen Besatzungsmacht die weitere Vernichtung des Deutschen Reichs durch die Gründung von Teilstaaten vorantreiben, auf die deutschen Ostgebiete verzichten und damit die völkisch-territoriale Einheit Deutschlands und die Identität des deutschen Volkes zerstören.

Die rechtsextremen Organisationen richteten sich nicht grundsätzlich gegen die Demokratie, forderten aber, wie beispielsweise die 1964 als Sammelpartei des westdeutschen Rechtsextremismus entstandene NPD, eine "nationale Demokratie" im Sinne einer "unlösbaren Einheit von Volk und Staat".

Volkssouveränität dürfe sich nicht nur auf die formale Souveränität des Volkes gründen, in ihr müsse zudem "die Hoheit des Volkes als Volkstum" zum Ausdruck gelangen. Mit anderen Worten: Souveränität komme nur dem deutschen Volk zu.

Die Erzählung von der Mehrheitsgesellschaft als Opfer

Die rassistische Komponente der völkischen Ideologie des Rechtsextremismus gewann erst wieder mit der massiven Zuwanderung und der Asylproblematik an Bedeutung. Der Kampf der extremen Rechten gegen multikulturelle Gesellschaften zielt darauf ab, fundamentale Ängste davor zu erzeugen oder zu verstärken, dass die Mehrheitsgesellschaft Opfer einer unbegrenzten Einwanderung wird und damit ihre Identität verliert.

Objekte dieses Kampfes sind nicht nur, nicht einmal hauptsächlich, die "fremdvölkischen" Immigranten, die zu einer universellen Bedrohung des deutschen Volkstums hochstilisiert werden, sondern vor allem die einheimischen Kräfte, die den "großen Austausch" planen.

Der Grundgedanke dieses zeitgenössischen Rassismus findet sich auch im Grundsatzprogramm der AfD (beispielsweise Punkt 7.2).

Rechtsextremismus und Populismus sind keine alternativen politischen Lehren oder Konzepte. Beide bilden vielmehr einen engen Zusammenhang. Der Rechtsextremismus bedient sich populistischer Argumente und Methoden, um unter Wettbewerbsbedingungen politische Macht zu erobern.

Populismus als Mittel

Populismus stellt für den Rechtsextremismus ein essenzielles Mittel dar, um völkisch-nationalistische Inhalte zu transportieren. Der Populismus stärkt oder verteidigt auch nicht die Volkssouveränität.

Dass er sich als Sachwalter, Hoffnungsträger oder Retter des Volkes ausgibt, hat höchst egoistische Gründe. Der Rekurs auf die Interessen und Befindlichkeiten der Bevölkerung dient nämlich ausschließlich dazu, die eigenen Machtansprüche gegen das politische Establishment durchzusetzen.

Beim Populismus handelt es sich im Grunde genommen um ein grandioses Täuschungsmanöver. Deshalb sticht auch das Argument nicht, der Populismus sei auch deshalb demokratisch, weil nichts dafür spräche, dass seine Wähler ihm den Auftrag erteilt hätten, die Demokratie abzuschaffen.

Der Populismus kann auch nicht deshalb als demokratisch bezeichnet werden, weil er das Mehrheitsprinzip akzeptiert und sich an Wahlen und am Parlamentarismus beteiligt.

Demokratie ist mehr als nur ein Katalog politischer Strukturprinzipien

Das trifft auch auf rechtsextreme Parteien und Bewegungen zu, die sich schon immer demokratischer Rechte bedient haben, um die Demokratie zu bekämpfen oder sogar abzuschaffen. Wahlen und Parlamente sind auch nicht per se demokratische Einrichtungen: In modernen Massengesellschaften sind selbst die härtesten Diktaturen auf wenigstens rudimentäre Formen von Repräsentation und Legitimation angewiesen.

Daher darf Demokratie nicht auf einen mehr oder weniger umfangreichen Katalog von politischen Strukturprinzipien reduziert werden. Demokratie ist vielmehr eine Werteordnung, die den Rahmen für politische Strukturprinzipien bildet.

Parteien oder Bewegungen, die diese Werteordnung auch nur teilweise ablehnen, sind nicht als antiliberal, sondern als antidemokratisch zu bezeichnen.

Dass es sich beim westeuropäischen Rechtspopulismus inhaltlich um völkischen Nationalismus handelt, dürfte unstrittig sein. Er selbst stellt den Nationalismus als Alleinstellungsmerkmal heraus, und wenn er den klassischen Rassismus offiziell ablehnt, propagiert er eine ethnisch mehr oder weniger homogene Gesellschaft ("Volksgemeinschaft").

Krise der Repräsentation

Dass es sich beim völkisch-nationalistischen Rechtspopulismus um eine Reaktion auf einen entarteten Liberalismus handeln soll, will mir nicht einleuchten. Ich stimme Philipp Manow zwar zu: Wir haben es nicht mit einer Krise der Demokratie, sondern mit einer Krise der Repräsentation zu tun.

Allerdings dürfte das in erster Linien an den Repräsentations- und Integrationsdefiziten unserer alteingesessenen Parteien liegen. Der völkische Nationalismus ist keine Reaktion auf einen entarteten Liberalismus.

Er scheint mir eher eine Begleiterscheinung der Globalisierung zu sein, die nicht nur ein enormes Ausmaß an Freiheiten und Entwicklungschancen bietet, sondern auch Risiken, Unsicherheit und Ängste hervorruft und das Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Heimat erzeugt.

Richard Stöss

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