zum Hauptinhalt

Politik: Porträt: Streitfreudiger Liberaler und unbequemer Mahner

Als unbequemer Mahner hat Kurt Sontheimer für Schlagzeilen gesorgt, als streitfreudiger Liberaler mit SPD- Parteibuch hat er sich neben seiner Hochschultätigkeit immer wieder zu aktuellen Themen zu Wort gemeldet.

Murnau (16.05.2005, 17:22 Uhr) - Am Pfingstmontag ist der Politikwissenschaftler, der weit über die Grenzen seines Faches hinaus Resonanz fand, gestorben. Im Alter von 76 Jahren erlag er in Murnau im Krankenhaus einer kurzen Krankheit, wie sein Sohn Michael Sontheimer mitteilte.

Sontheimer, der seit den 60er Jahren SPD-Mitglied war, hat sich nie auf die Wissenschaft beschränkt. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand für den Politologen, der sich selbst als «durch 1933 traumatisierten Deutschen» bezeichnete, die Verankerung der freiheitlichen Demokratie in Deutschland. 1969 gründete er mit Günter Grass und anderen die erste Wählerinitiative in der Bundesrepublik Deutschland und warb bei Fahrten quer durch das Land für Willy Brandt. Als jahrzehntelanges Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages war Sontheimer auch stets aktiver Christ.

Immer wieder geriet er mit umstrittenen Äußerungen in die Schlagzeilen, etwa, als er 1986 die CDU/CSU für die Wiederbelebung nationalistischer Tendenzen in der Bundesrepublik verantwortlich machte. Auch im eigenen Haus sorgte der Professor und Ordinarius für Politische Wissenschaft am renommierten Geschwister-Scholl-Institut der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Ende der 80er Jahre für Wirbel, als er das Institut massiv kritisierte. Er warf der Leitung Mangel an akademischem Ethos vor und geriet - als Nestbeschmutzer - im Kollegium in eine Außenseiterrolle. Die Studenten drängten dafür umso stärker in seine Vorlesungen.

Der «Professorenstreit» endete 1993 mit der vorzeitigen Emeritierung Sontheimers. Danach ging er nach Paris und lehrte am dortigen Alfred-Grosser-Lehrstuhl am Institut für politische Wissenschaften.

Bis zuletzt hat Sontheimer geschrieben, Vorträge gehalten und sich öffentlich zu Wort gemeldet. «Er ist nie richtig in Rente gegangen», sagt sein Sohn. Noch vor wenigen Wochen prophezeite er seinem Parteigenossen Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Niederlage bei der Bundestagswahl 2006. «Ich gehe davon aus, dass es in Deutschland 2006 einen Machtwechsel geben wird», sagte Sontheimer im April dem «Münchner Merkur». Schröder und der SPD fehlten die Vision für die Zukunft des Landes. Bis vor einem Jahr war er Vorsitzender der Jury zur Vergabe des «Wächterpreises der Tagespresse», und im Herbst soll sein vor kurzem abgeschlossenes Buch über die jüdische Philosophin und Publizistin Hannah Arendt (1906-1975) erscheinen.

Seine wissenschaftliche Laufbahn begann der im badischen Gernsbach geborene Sontheimer nach Studien in den USA und Paris in Freiburg. Nach einer ersten Professur in Osnabrück folgte er 1962 einem Ruf an das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Während dieser Zeit ergriff er Partei für die auf eine Hochschulreform drängende Studentenschaft. 1969 ging er nach München. Er gehörte zu den Begründern des Fachs Politikwissenschaft an deutschen Universitäten.

Als sein bedeutendstes Werk gilt seine Habilitationsschrift «Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik», in der er sich mit der Rolle der damaligen geistigen Eliten auseinander setzt und die in zahlreichen Auflagen erschien. Mit der Linken und ihrem Utopismus ging er mit seinem 1976 erschienenen Werk «Das Elend unserer Intellektuellen» hart ins Gericht. «Er war ein echter Sozialdemokrat von Helmut Schmidt'scher Prägung, der den Radikalismus der 68er scharf kritisiert hat», charakterisiert ihn sein Sohn Michael.

Als Vorbild für sein politisches Engagement galt Sontheimer stets Thomas Mann und dessen politisches Credo: «Ich bin ein Mensch des Gleichgewichts. Ich lehne mich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu kentern droht und umgekehrt.» (Von Sabine Dobel, dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false