zum Hauptinhalt
In den Reihen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ kämpften auch Frauen mit der Waffe in der Hand.

© DPA

Prozess gegen deutsche Dschihadistin: Versklavtes Kind dem Hitzetod ausgesetzt

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen die IS-Frau Jennifer W. am Oberlandesgericht München. Sie soll an der Tötung eines Kindes mitschuldig sein.

Von Frank Jansen

Die Vorwürfe klingen furchtbar. Jennifer W. soll im Irak nicht nur als bewaffnete „Polizistin“ für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ Angst und Schrecken verbreitet haben, sondern auch am Foltertod eines versklavten jesidischen Kindes mitschuldig sein. Am Dienstag hat am Oberlandesgericht München der Prozess gegen die 27-jährige Dschihadistin begonnen, angesichts der Schwere der Vorwürfe droht der Frau eine lebenslange Haftstrafe. Die Bundesanwaltschaft sagt in der Anklage, Jennifer W. sei Mitglied des IS gewesen, sie habe „aus niedrigen Beweggründen einen Menschen grausam getötet“ und gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Vermutlich wird die Anklage gleich zu Beginn der Hauptverhandlung noch um „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erweitert.

Im Sommer 2015 sollen Jennifer W. und ihr Ehemann, ein Funktionär der Terrormiliz, eine gefangen genommene Jesidin und ihre fünfjährige Tochter einem IS-Kämpfer abgekauft haben. Treffen die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft zu, war das Leben der beiden Sklavinnen im Haus der deutschen Dschihadistin und ihres Mannes in der Stadt Falludscha eine permanente Hölle. Mutter und Tochter waren der Willkür ihrer „Besitzer“ ausgeliefert, erhielten wenig zu essen und sollen bei angeblichem Fehlverhalten mit Schlägen traktiert worden sein. Es kam offenbar zum Exzess.

„Nachdem das Mädchen erkrankt war und sich deshalb auf einer Matratze eingenässt hatte, kettete der Ehemann der Angeschuldigten das Mädchen zur Strafe im Freien an und ließ das Kind dort bei sengender Hitze qualvoll verdursten“, sagt die Anklagebehörde. Jennifer W. habe ihren Mann gewähren lassen „und unternahm nichts zur Rettung des Mädchens“. In Falludscha steigt die Temperatur im Sommer auf bis zu 45 Grad.

Selbst für die Terrormiliz war der Hitzetod des versklavten Kindes offenbar nicht hinnehmbar. Der Ehemann von Jennifer W. sei mit Schlägen bestraft worden, sagen Sicherheitskreise. Das Paar habe sich dann in die Türkei abgesetzt. Die Mutter des toten Mädchens sei in der Terrormiliz weiterverkauft worden.

Zugriff in Ankara

Im Januar 2016 beantragte Jennifer W. bei der deutschen Botschaft in Ankara einen einen neuen Pass. Als die Frau das Gebäude verließ, nahmen türkische Sicherheitskräfte sie fest. Jennifer W. wurde nach Deutschland abgeschoben. Doch hier geschah ihr erst einmal nichts. Die Sicherheitsbehörden hatten offenbar nicht genügend Erkenntnisse, um gegen die Frau vorzugehen. Jennifer W. konnte in ihrer Heimatstadt Lohne (Niedersachsen) unbehelligt leben und brachte eine Tochter auf die Welt. Vater ist mutmaßlich der in der Türkei gebliebene Ehemann aus dem „Islamischen Staat“.

Jennifer W. scheint mit dem Leben in Deutschland, von der Terrormiliz als Heimstätte der Ungläubigen und Kreuzfahrer geschmäht, nicht zurechtgekommen zu sein. Im Juni 2018 versuchte sie, nach Syrien auszureisen. Mit der Hilfe eines Mannes, den sie für einen Gläubigen hielt. Doch es handelte sich um einen Informanten der amerikanischen Bundespolizeibehörde FBI.

Bei der Autofahrt in Richtung Süddeutschland soll Jennifer W. dem Mann die Geschichte des verdursteten Mädchens erzählt haben. Sie soll auch über ihre eigene Rolle beim IS geplaudert haben, als Mitglied der Sittenpolizei „Hisba“. Bewaffnet mit Kalaschnikow, Pistole und Sprengstoffweste will Jennifer W. in Falludscha und Mossul auf Streife gegangen sein, um Frauen auf die Einhaltung der Kleidungsvorschriften des IS zu kontrollieren. Als Jennifer W. alles erzählt hatte, nahm die Polizei, die dem Wagen gefolgt war, die Frau an einer Autobahnraststätte in Bayern fest.

Die Mutter des in Falludscha getöteten Kindes konnte dem IS entfliehen. Sie lebt jetzt in Deutschland und hat bei der Bundesanwaltschaft ausgesagt. Im Verfahren gegen Jennifer W. tritt die Mutter als Nebenklägerin auf.

Mitglied einer terroristischen Vereinigung

Dass es überhaupt zum Prozess kommt, ist für die Bundesanwaltschaft schon ein Erfolg. Sie war bei Verfahren gegen Frauen, die sich zum IS begeben hatten, in einigen Fällen auf den Widerstand des Bundesgerichtshofs (BGH) gestoßen. Die Richter lehnten Anträge auf Haftbefehl ab, weil den beschuldigten Frauen nur der Aufenthalt bei der Terrormiliz nachzuweisen war. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft hingegen reichte das, um den IS „von innen heraus zu stärken“, wie Generalbundesanwalt Peter Frank im März dem Tagesspiegels sagte. Der BGH forderte jedoch ein Engagement der Beschuldigten über ein häusliches Leben bei der Terrororganisation hinaus.

„In Fällen, in denen Frauen beispielsweise über das Internet Propaganda für den IS betrieben haben, Waffen oder Sprengstoffgürtel besaßen oder bei der Religionspolizei waren, haben wir Haftbefehle wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bekommen“, sagte Frank. Und auch wenn eine Frau daran beteiligt war, ein Haus zu beziehen, dessen Bewohner der IS vertrieben hatte. Das Völkerstrafgesetzbuch sieht darin einen Akt der Plünderung. Diese Tat ist dann doch, da sind sich Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof einig, eine Betätigung als Mitglied einer terroristischen Vereinigung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false