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Einstiegsdroge Nummer eins für Neonazis bleibt die Ausländerfeindlichkeit.

© Michael Reichel,dpa

Studie zum Autoritarismus: Radikal und enthemmt im Osten

Während rechtsextreme Einstellungen im Westen rückläufig sind, haben sie im Osten wieder zugenommen.

Die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland nimmt ab, das ist die gute Nachricht, mit der Wissenschaftler bei der Vorstellung der Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig am Mittwoch aufwarteten. Der Prozentsatz der „manifest ausländerfeindlich Eingestellten“ ist im Vergleich zu 2018 von 23,4 auf 16,5 Prozent gesunken. Ins Auge sticht dabei der Unterschied des Rückgangs in West- und Ostdeutschland. In Westdeutschland sank der Anteil von 21,5 auf 13,7 Prozent, in Ostdeutschland nur von 30,7 auf 27,8 Prozent. Der Aussage, dass „Ausländer nur hierherkommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen“, stimmen insgesamt 28,4 Prozent zu (Ost: 43,9 Prozent, West: 24,5 Prozent). Rund 26 Prozent der Befragten halten die Bundesrepublik „durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ – ein Minus von zehn Prozentpunkten.

Diese Entwicklung ist jedoch keineswegs Grund zur Entwarnung. Laut der Studie sei eine „Radikalisierung und Enthemmung“ unter extremen Rechten zu beobachten. Außerdem driften Ost und West politisch immer weiter auseinander: Während rechtsextreme Einstellungen im Westen rückläufig waren, haben sie im Osten sogar wieder leicht zugenommen, fast jeder zehnte Ostdeutsche vertritt rechtsextreme Ansichten.

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Die Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler, die seit 2002 die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen beobachten, bezeichnen die Ausländerfeindlichkeit weiterhin als Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus. Hinzugekommen seien Verschwörungsmythen. Die Aussage, dass Politiker nur Marionetten seien, die von dahinter stehende Mächten gelenkt werden, stimmten über die Hälfte der in Ostdeutschland Befragten zu, in Westdeutschland teilten diese Ansicht immerhin 35 Prozent.

Die Zustimmungswerte zur Aussage „Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitieren können“, liegen bei 33 Prozent („stark ausgeprägt“) sowie 15,4 Prozent („ausgeprägt“), jene zur Aussage „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen“ bei 47,8 Prozent („stark ausgeprägt“) sowie 14,6 Prozent („ausgeprägt“). Dass Verschwörungsmythen immer mehr Zulauf fänden, bezeichnete Decker als „autoritäre Rebellion“: „Da besteht ein tiefer Wunsch nach starken Autoritäten und nicht nach Repräsentanten, einem Kaiser, der nackt sein könnte. Das erklärt auch Putin-Rufe bei den Pegida-Märschen.“ So wünschen sich 17 Prozent eine einzige Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert, 21,2 Prozent vertreten diese Ansicht zumindest latent.

Bedürfnis nach mehr Kontrolle

Um der Entwicklung entgegenzuwirken, rieten Decker und Brähler zu einem Ausbau der Partizipationsmöglichkeiten, sei es in Schule, Betrieb oder Politik. „Die Menschen haben ein Bedürfnis nach mehr Kontrolle, Handlungsfähigkeit und Verantwortung. Je weniger Mitspracherecht jemand in seinem Job hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass er sich Verschwörungsmythen hingibt“, sagte Brähler.

Die zunächst einmal positive Erkenntnis, dass die Zustimmung zum tradierten Antisemitismus bundesweit gesunken ist, entkräften die Forscher: Der Rückgang sei wohl vor allem darauf zurückzuführen, dass antisemitische Ansichten wegen gefürchteter Sanktionen immer seltener in der Öffentlichkeit geäußert würden. „Oft tritt Antisemitismus eher über eine sogenannte Scharnierfunktion zutage. 15 Prozent der Menschen im Osten sagen zum Beispiel, ,Ich kann es gut verstehen, dass Menschen Juden unangenehm sind’“, sagte Brähler. So äußerten zehn Prozent der Befragten Verständnis dafür, dass „manche Leute etwas gegen Juden haben“ und 41 Prozent meinen, dass „Reparationszahlungen nur einer Holocaust-Industrie“ nützten. Für die Studie waren im Mai und Juni bundesweit 2503 Menschen im Alter zwischen 14 und 93 Jahren befragt worden.

Lea Schulze

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