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Finanzminister Kwasi Kwarteng reiste vorzeitig von einer wichtigen Tagung in Washington zurück nach London.

© Foto: Reuters/Toby Melville

Update

Regierungskrise in London: Britischer Finanzminister Kwarteng entlassen

Liz Truss hat ihren Schatzkanzler Kwasi Kwarteng entlassen. Auch die politische Zukunft der britischen Premierministerin ist ungewiss. Einen Rücktritt schließt sie aus.

Stand:

Die britische Premierministerin Liz Truss hat ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen. Der Schritt kommt kurz vor einer erwarteten Kehrtwende bei den geplanten Steuerplänen der Regierung. Truss steht nur gut fünf Wochen nach ihrem Amtsantritt in ihrer eigenen Partei massiv unter Druck.

Nachfolger von Kwasi Kwarteng wird Jeremy Hunt. Premierministerin Truss ernannte den früheren Außen- und Gesundheitsminister am Freitag zu seinem Nachfolger, wie die Downing Street mitteilte. Der bisherige Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im britischen Parlament hatte sich im Sommer selbst um die Spitze der Konservativen Partei beworben, war aber nach wenigen Wahlgängen gescheitert. Während der Pandemie war der 55-Jährige einer der schärfsten Kritiker der Regierung.

Jeremy Hunt, neuer Finanzminister von Großbritannien

© dpa/PA Wire/Aaron Chown

Am Nachmittag trat die Premierministerin vor die Presse und kündigte eine steuerpolitische Kehrtwende an. Es sei klar, dass Teile ihres sogenannten Mini-Budgets „weitergehend und schneller“ waren, als die Märkte erwartet hatten, sagte Truss bei einer Pressekonferenz in London am Freitag. „Wir müssen jetzt handeln, um die Märkte von unserer fiskalen Disziplin zu überzeugen“, so Truss weiter. Die Ankündigung massiver Steuersenkungen hatte zuvor zu Verwerfungen an den Finanzmärkten geführt.

Die Unternehmensteuer solle nun – wie von der Vorgängerregierung vorgesehen – doch erhöht werden, sagte Truss. An anderen Steuererleichterungen wollte sie zunächst festhalten. Ihren eigenen Rücktritt lehnt die britische Premierministerin ab. „Ich bin fest entschlossen, das zu halten, was ich versprochen habe.“

Steuerpläne führten zu Wertverlust des Pfundes

Die Finanzmärkte hatten nach der Ankündigung erheblicher Steuersenkungen ohne einen Plan zur Gegenfinanzierung im September heftig reagiert. Das Pfund fuhr im Verhältnis zum US-Dollar in den Keller. Die Bank of England musste mehrmals intervenieren und Staatsanleihen kaufen, um deren Preisverfall auszuhalten und den Kollaps von Pensionsfonds zu verhindern. Steigende Zinsen für Immobilienkredite verschärften für viele Hausbesitzer die Krise der Lebenshaltungskosten.

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Die Regierung zog darauf die geplante Abschaffung des Spitzensteuersatzes wieder zurück und kündigte nach einigem Zögern an, auch die Vorstellung des gesamten Haushaltsplans um einige Wochen vorzuziehen. Doch das beruhigte die Finanzmärkte nur vorübergehend.

Zuletzt hatte Notenbankchef Andrew Bailey ein Ende der Anleihenankäufe für diesen Freitag angekündigt. Nach Ansicht einiger Experten wollte er damit die Regierung zum Einlenken zwingen. Die Finanzmärkte reagierten positiv auf die Berichte über eine Kehrtwende der Regierung.

Ob Truss mit der Entlassung ihres Schatzkanzlers und der erwarteten Kehrtwende die Finanzmärkte wieder beruhigen kann und ihre Position festigen, gilt als fraglich. Wie die Zeitung „Times“ am Freitag berichtete, gibt es in der Konservativen Partei bereits Debatten, die Regierungschefin nach nur gut fünf Wochen wieder aus dem Amt zu drängen.

Die britische Premierministerin Liz Truss.

© Foto: dpa/Stefan Rousseau

Im Raum steht nach „Times“-Informationen, dass führende Tories ein Führungs-Tandem aus den Spitzenpolitikern Rishi Sunak und Penny Mordaunt unterstützen, die Truss im Sommer im internen Ringen um den Parteivorsitz unterlegen waren.

Der frühere Chef der Konservativen, William Hague, nannte die Lage „beispiellos“. Die Autorität von Truss sei offensichtlich beschädigt, sagte Hague der BBC. Der einzige Ausweg sei, die Budgetpläne wieder zurückzunehmen. Der Vorsitzende des Finanzausschusses im Parlament, der Konservative Mel Stride, forderte „entschiedenes Handeln“.

Truss gilt bereits als schwer beschädigt. Nach ihrem jüngsten Auftritt im Unterhaus und in einer anschließenden Fraktionsrunde am Mittwoch äußerten konservative Abgeordnete heftige Kritik. „Die Stimmung ist furchtbar, so schlimm wie in den letzten Tagen von (Premier Boris) Johnson“, kommentierte die Reporterin Beth Rigby vom Sender Sky News.

Labour führt in Umfragen

In Umfragen führt die oppositionelle Labour-Partei teils mit mehr als 30 Punkten Vorsprung. Wie das Meinungsforschungsinstitut Ipsos ermittelte, sind nur 16 Prozent der Briten mit Truss zufrieden – das sei der schlechteste Wert, der je für einen Premier gemessen worden sei.

Die Wirtschaftszeitschrift „Economist“ kommentierte kürzlich, Truss habe „ihre eigene Regierung mit einem Paket aus ungedeckten Steuersenkungen und Energiepreisgarantien“ gesprengt. „Nimmt man die zehn Tage der Trauer nach dem Tod von Königin Elizabeth II. weg, hatte sie sieben Tage die Kontrolle. Das entspricht in etwa der Haltbarkeit eines Salats“, schrieb das Blatt.

Kabinettsmitglieder versicherten jedoch auch am Freitag, die Regierungschefin hätte ihre volle Unterstützung. Die frühere Kulturministerin Nadine Dorries, eine Unterstützerin von Truss, kritisierte deren interne Gegner scharf.

„Es ist nicht nur eine Verschwörung, um die Premierministerin zu entfernen, sondern um die Demokratie zu stürzen“, twitterte die Vertraute von Ex-Premier Johnson. Dorries hatte kürzlich noch kritisiert, die Wirtschaftspläne von Truss stimmten nicht mit den Wahlversprechen der Tories überein. (dpa)

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