zum Hauptinhalt
Der SPD-Generalsekretär verantwortet den TV-Spot: Lars Klingbeil bei der Vorstellung der Kampagne.

© Kay Nietfeld/dpa

Religion im Wahlkampf: Ein Tabubruch, der nicht nötig war

Ein Wahlkampfspot der SPD zielt auf die Glaubensüberzeugung eines engen Mitarbeiters von Armin Laschet. Warum ist das problematisch? Ein Kommentar. 

Ein Kommentar von Hans Monath

Wahrscheinlich wünschen sich nicht einmal Unionspolitiker die Zeiten zurück, als Pfarrer in ländlichen Regionen am Wahltag die Gottesdienstbesucher von der Kanzel herab dazu aufriefen, ihr Kreuz bei der Partei mit dem C im Namen zu machen. Längst sind die einst streng getrennten gesellschaftlichen Milieus aufgebrochen. Im Zeitalter fortschreitender Individualisierung erscheint diese Praxis absurd.

Zwar gehört noch etwas mehr als die Hälfte der Deutschen einer christlichen Religion an (darunter rund 22 Millionen Katholiken und rund 20 Millionen Protestanten). Aber auch die Bindungskraft der beiden großen Kirchen erodiert. Der Umgang mit dem Islam ist in Deutschland ein politisches Streitthema, das Emotionen weckt. Katholizismus und Protestantismus waren es in jüngerer Zeit nicht.

Das hat die SPD nun geändert. In einem Wahlkampfspot warnt sie davor, „erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist“, zu wählen. Dazu ist ein Foto des Leiters der NRW-Staatskanzlei, Nathanael Liminski, zu sehen, der als junger Mann für einen konservativen Katholizismus geworben und sich in einer Talkshow gegen „jede Art künstlicher Verhütung“ ausgesprochen hatte. Diese Äußerung betraf seine eigene, private Lebensführung. Andere Zitate von ihm aus der damaligen Zeit betrafen die Gefühle von Homosexuellen und würdigten sie herab.

Ihn soll die Attacke der SPD auf seinen Mitarbeiter in einem schlechten Licht erscheinen lassen: NRW-Ministerpräsident und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet.
Ihn soll die Attacke der SPD auf seinen Mitarbeiter in einem schlechten Licht erscheinen lassen: NRW-Ministerpräsident und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet.

© Federico Gamberini/dpa

Doch aus welchem Grund auch immer: Der SPD-Spot zielt auf die Glaubensüberzeugung („erzkatholisch“) und stellt sie als rückständig, gefährlich hin. Damit verletzt er ein Tabu, denn die Herabwürdigung einer religiösen Anschauung im Wahlkampf kann zu nichts Gutem führen. Angst vor der Religion einer Minderheit, nämlich vor dem Islam, zu schüren, war bislang vor allem die Spezialität der AfD.

Die Praxis ist aber auch im Hinblick auf das dahinterstehende Gesellschaftsbild problematisch, das in der SPD offenbar verbreitet ist. Wo es um Minderheiten wie People of Colour, die Queer-Community oder Transmenschen geht, deren Stärkung sich viele aus dem linken Spektrum in jüngster Zeit verschrieben haben, versucht etwa Parteichefin Saskia Esken den engen Schulterschluss und schreckte dafür auch nicht davor zurück, ihren Parteifreund Wolfgang Thierse herabzuwürdigen. 

Zu einer diversen Gesellschaft gehören aber nicht nur solche Minderheiten, die in der Öffentlichkeit gerade neue Aufmerksamkeit erfahren, sondern auch jene Gruppen, die weniger „hip“ scheinen, darunter tief gläubige Menschen, Evangelikale oder konservative Katholiken. Niemand muss deren gesellschaftliche Ansichten teilen. Toleranz und Respekt haben aber auch sie verdient - sogar von der SPD im Wahlkampf. 

Liminski hat ein politisches Amt inne. Das rechtfertigt öffentliches Interesse und Fragen. Aber er hat auch das Recht auf Wandel. Ein ehemaliger linksautonomer Straßenkämpfer wurde in Deutschland ein populärer Außenminister (Joschka Fischer), ein früheres Mitglied einer maoistischen Studentengruppe wurde EU-Kommissionspräsident (Jose Barroso).

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Kritiker des Laschet-Mitarbeiters unterstellen ihm, er verfolge im Amt eine reaktionäre Agenda. Er selbst könnte mit einer Erklärung zu seiner eigenen Entwicklung dazu beitragen, den Verdacht aus der Welt zu schaffen. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false