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Rückzug auf Raten: Wagenknecht lässt die ungeliebte Parteiarbeit hinter sich
Sahra Wagenknecht tritt als Vorsitzende des BSW ab. Sie will künftig als Chefin der Grundwertekommission den Kurs bestimmen. Doch womöglich beginnt so auch ihr Abschied von der Politik.
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Bevor es losgeht, muss die BSW-Spitze noch kurz klären, wo die Hauptfigur des heutigen Tages sitzen soll. Schließlich nimmt Sahra Wagenknecht bei dieser Pressekonferenz, die ganz ihrer Zukunft gewidmet ist, nicht am Rand, sondern in der Mitte Platz – zwischen den künftigen Parteivorsitzenden Amira Mohamed Ali und Fabio De Masi.
Anders als es die meisten Medien herbeigeschrieben hätten, werde sie sich nicht zurückziehen, betont Wagenknecht in ihrem Eingangsstatement. „Wenn wir, was ich erwarte, bei einer korrekten Neuauszählung in den Bundestag einziehen“, werde sie dort als Fraktionsvorsitzende weitermachen, sagt sie.
Ich möchte in Zukunft den Kopf wieder freihaben.
Sahra Wagenknecht, Gründerin des BSW
Und dann verkündet Wagenknecht doch einen weitgehenden Rückzug aus der Politik. „Ich möchte in Zukunft den Kopf wieder freihaben“, sagt sie, sie wolle sich den Dingen widmen, mit denen sie dem BSW wirklich helfen könne. Die Arbeit als Parteivorsitzende zählt sie nicht dazu.
Denn die Gremienarbeit war Wagenknecht stets lästig. Es sei erkennbar, dass das BSW gemessen an seinem Potenzial Wählerinnen und Wähler verloren habe, betont Wagenknecht. Sie sehe ihre Aufgabe darin, das programmatische Profil des BSW zu stärken. „Dafür werde ich eine Grundwertekommission des BSW leiten und in dieser Funktion auch Sitz und Stimme im Präsidium und Vorstand der Partei haben.“
In den meisten Parteien ist der Vorsitz der Grundwertekommission allerdings eine Art Vorruhestand. „Das BSW war nie eine Ein-Frau-Partei – auch wenn das oft geschrieben wurde“, sagt Wagenknecht über jenes Bündnis, das noch ihren Namen trägt. Aber natürlich ist ihr Abschied vom Vorsitz für das BSW die größtmögliche Zäsur.
Die ewige Parteirebellin
Eine Zäsur ist dieser Rücktritt aber nicht nur für dieses Parteiprojekt, sondern für die gesamte Bundesrepublik. Denn sollte dem BSW nach einer Nachzählung nicht doch noch der Einzug in den Bundestag gelingen und Wagenknecht als Fraktionschefin weitermachen, dürfte dieser Tag ihren Ausstieg aus der Bundespolitik einläuten, die sie in verschiedenen Rollen seit der Wiedervereinigung geprägt hat.
Wenige Monate nach dem Mauerfall trat sie als junge Frau in die SED ein, aus der die PDS hervorging. Als Wortführerin der Kommunistischen Plattform in der PDS gab Wagenknecht all jenen eine Stimme, die der DDR hinterhertrauerten. Das war nicht ohne Ironie, denn als Jugendliche war Wagenknecht in der DDR immer wieder angeeckt.

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Es dauerte, bis Wagenknecht bei der PDS und später bei der Linken die Rolle als Parteirebellin zeitweise hinter sich ließ. 2015 nahm die übrige Parteispitze Wagenknecht, die als bekanntestes Gesicht der Partei ständig in Talkshows saß, in die Verantwortung: Sie wurde zusammen mit Dietmar Bartsch Vorsitzende der Bundestagsfraktion.
Wirtschaftspolitisch war Wagenknecht da bereits weit in die Mitte gerückt. In einem Buch lobte sie 2011 die soziale Marktwirtschaft nach Ludwig Erhard. Doch in der Linken blieb sie ein Spaltpilz. Als ab 2015 die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Land polarisierte, trat Wagenknecht anders als der Rest der Linken für eine restriktive Migrationspolitik ein.
Wagenknecht entfernte sich in den Folgejahren immer mehr von ihrer Partei und insbesondere den langjährigen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Diese wollten vor allem junge, progressive Linke in den Großstädten ansprechen. Wagenknecht suchte ihre Wähler unter Arbeitern, die sich eine linke Sozialpolitik und eine konservative Gesellschafts- und Migrationspolitik wünschen.
Katja Wolf ist außen vor
Um diesen Kurs umzusetzen, brach Wagenknecht im Oktober 2023 endgültig mit ihrer alten Partei und gründete zusammen mit ihrem Mann Oskar Lafontaine das BSW. Für dieses stürzte sie sich noch einmal voll in die ungeliebte Parteiarbeit – bis dem BSW bei der Bundestagswahl rund 9000 Stimmen für den Einzug ins Parlament fehlten. Danach tauchte Wagenknecht ab, so ähnlich hatte sie es auch in der Linken immer wieder gehalten.
Nun also der Rückzug auf Raten. Im Frieden tritt sie nicht ab. Im neuen Präsidium der Partei wird niemand aus den Landesregierungen in Brandenburg und Thüringen sitzen. Damit ist auch Wagenknechts Rivalin Katja Wolf, die pragmatische und in der Russland-Politik wenig ideologische Thüringer Finanzministerin, außen vor.
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