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Mesut Özil aus Deutschland nach seinem letzten Spiel für die Nationalmannschaft bei der WM in Russland.

© dpa/ Andreas Gebert

Rücktritt des Weltmeisters: Özil ist gescheitert an der populistischen Stimmung im Land

Der Rücktritt von Mesut Özil ist eine Zäsur – sportlich, politisch und gesellschaftlich. Es steht mehr auf dem Spiel als nur die Zukunft der Nationalelf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Der Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist eine Zäsur. Sportlich. Politisch. Gesellschaftlich. Sein dreiteiliges Statement nach wochenlangem Schweigen ist auch das Dokument eines Scheiterns: Persönlich. Politisch. Gesellschaftlich. Mesut Özil gehörte zu den talentiertesten und sicher auch besten Spielern der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren. Seine Spielweise war manchmal genial, manchmal aufreizend lässig, aber meistens sehr wichtig für die Mannschaft. Dass er jetzt zurücktritt, ist sportlich ein herber Verlust.  

Noch schwerwiegender sind aber die politischen und gesellschaftlichen Faktoren, die zu seinem Rücktritt führten und mit denen er seine Entscheidung auch begründet. Natürlich werfen seine Einlassungen Fragen auf. Hat er das Statement selbst geschrieben oder wurde es ihm diktiert? Dass er soziale Netzwerke dafür nutzt, ist normal. Aber wird er sich auch auf die Gegenrede und die Debatte dort einlassen? Er kritisiert, dass ein unpolitisch gemeintes Foto mit dem türkischen Präsidenten politisch missbraucht worden sei. Er sei doch „nur“ Fußballer und habe das Foto aus Respekt vor seinen familiären Wurzeln gemacht.

Gleichzeitig wird er aber selbst sehr politisch, wenn er dem DFB-Präsidenten Rassismus vorwirft. Das ist zwiespältig. Genau wie seine undifferenzierte Kritik an vermeintlich undifferenzierter Berichterstattung. Und zu glauben, dass ein Bild mit dem umstrittenen türkischen Präsidenten völlig unpolitisch sei, ist naiv. Und es ist ein Affront für all jene, die gegen Erdogan auf die Straße gehen und damit mitunter ihr Leben riskieren. Natürlich ist es sein Recht, das Foto zu machen aus welchen persönlichen Gründen auch immer, genauso legitim ist es aber, ihn dafür inhaltlich zu kritisieren. Von Selbstkritik ist in seinem Statement nichts zu lesen.

Ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Stimmung

Und doch, abseits aller Stilfragen, ist sein persönliches Scheitern, seine Frustration und seine tiefe Enttäuschung auch ein trauriges Spiegelbild der gesellschaftlichen Stimmung und der politischen Atmosphäre. Und es ist eine Mahnung. Mesut Özil wurde nicht nur politisch für sein Foto kritisiert, sondern zunehmend persönlich. Seine türkischen Wurzeln waren vor acht, neun Jahren noch ein Merkmal gelungener Integration, ein Musterbeispiel gesellschaftliche Toleranz und die Wirkung des Sports – heute ist es für ihn zum Problem geworden.

Natürlich wäre es gut gewesen, Özil hätte sich früher gestellt, seine Motivation erklärt, hätte die Auseinandersetzung offen angenommen, aber man muss auch akzeptieren, dass in einer derart aufgeheizten und teils vergifteten Atmosphäre nicht jeder den Mut aufbringt, sich in die Diskussion zu begeben.

Der Populismus von Grindel ist ein Armutszeugnis

Besonders schäbig wird es aber, wenn der ranghöchste DFB-Funktionär nach einer misslungenen WM auch noch in das populistische Horn bläst. Das ist ein Armutszeugnis, und das ist ein Rücktrittsgrund. Wer sich mit der politischen Vita des DFB-Präsidenten beschäftigt, erkennt, dass Grindel vom Modell Nationalmannschaft als Integrationsaushängeschild nicht viel halten kann. Und das vom Spitzenvertreter jenes Verbands, der historisch besonders sensibel beim Thema Rassismus sein sollte. Dass Özil den DFB-Präsidenten nun so frontal angreift, ist nachvollziehbar. Ob es für Grindel nochmal zum Problem wird, dass er von Özil als Rassist beschrieben wird, hängt auch davon ab, wie salonfähig die Grindelsche Position bleibt. 

Özil ist aber letztlich nicht an Grindel gescheitert, sondern an einer aufgeheizten, populistischen Stimmung in Deutschland, in der selbst die CSU solche Angst vor der AfD hat, dass sie versucht, die Rechten noch weiter rechts zu überholen – mit ihren politischen Forderungen und ihrem Vokabular. Grindel ist nur ein Ausdruck dessen. Aber: Bis jetzt ist „nur“ Özil daran gescheitert, was schlimm und traurig genug ist. Es ist jetzt auch am Sport, den Funktionären und Spielern aber auch der Gesellschaft insgesamt dafür zu sorgen, dass nicht das ganze Modell Özil scheitert.

Die Gefahr besteht, weil viele, die auch familiäre Wurzeln in anderen Ländern oder Kulturen haben, die Stimmungslage von Özil nachvollziehen können – und dem sollte rasch und entschieden entgegengetreten werden. Denn es steht mehr auf dem Spiel als nur die Zukunft der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

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